Traumziele im Mittelmeer – mit dem Schiff von Rom nach Barcelona

Tag 12: Sonn­tag, 30. Okto­ber 2022
Unbe­kann­te Schön­hei­ten – Giro­na nach Canet-​en-​Roussillon – Teil 1

„Eine Rei­se ist ein Trunk aus der Quel­le des Lebens.” (Chri­sti­an Fried­rich Hebbel)

Die erste Nacht zurück an Land ist vor­bei und wie soll­te es anders sein? – wir bei­de ver­mis­sen die Bewe­gun­gen des Schiffs und das Rau­schen des Mee­res. Dazu ist das Früh­stück heu­te weni­ger pom­pös, auch wenn die Aus­wahl für spa­ni­sche Ver­hält­nis­se abso­lut in Ord­nung ist. Sogar eine Halloween-​Deko gibt es.

Nach dem Früh­stück packen wir unse­re Sachen und tra­gen alles in die Tief­ga­ra­ge, wo unser Miet­wa­gen die Nacht ver­bracht hat. Die Aus­fahrt hier ist übri­gens recht lustig. Im Prin­zip ist es ganz ein­fach, man muss die Zim­mer­kar­te an einen Kar­ten­le­ser hal­ten. Doch der ist so ver­steckt, dass man den nicht fin­det, wenn man nicht weiß, wo man schau­en muss. Nun ja, am Ende hat es geklappt, auch wenn C. bei der ersten Aus­fahrt zur Ein­fahrt gelau­fen ist und das Tor so geöff­net hat.

Weit fah­ren wir aller­dings nicht, denn auf­grund unse­rer recht spä­ten Ankunft sowie den Men­schen­mas­sen, die das Volks­fest besucht haben, und dem dar­aus resul­tie­ren­den Ver­kehrs­chaos wol­len wir uns am heu­ti­gen Mor­gen ein wenig in Giro­na umschau­en. Es ist Sonn­tag­vor­mit­tag und so ist die Stadt jetzt noch herr­lich leer. Zügig gelan­gen wir zu einer öffent­li­chen Park­ga­ra­ge, wo wir den Miet­wa­gen wie­der abstel­len. Als wir das Park­haus ver­las­sen, ste­hen wir nach kur­zem Fuß­weg bereits am Ufer des Flus­ses Onyar, der mit­ten durch die Alt­stadt von Giro­na fließt.

Giro­na ist eine Stadt mit rund ein­hun­dert­tau­send Ein­woh­nern im Nord­osten von Kata­lo­ni­en. Die ersten Bewoh­ner der Regi­on waren wahr­schein­lich bereits die Ibe­rer. Auch die Römer hat­ten hier eine Sied­lung. Spä­ter kamen die West­go­ten und die Mau­ren, bevor die Stadt 785 von Karl dem Gro­ßen erobert wur­de und von ihm zu einer der vier­zehn ursprüng­li­chen Graf­schaf­ten Kata­lo­ni­ens ernannt wur­de. In den fol­gen­den mehr als tau­send Jah­ren wur­de die Stadt mehr­mals zer­stört und wie­der auf­ge­baut, sodass sich in der Alt­stadt heu­te Gebäu­de aus vie­len Epo­chen finden.

Wir fol­gen zunächst dem west­li­chen Ufer des Onyar und gelan­gen so zum Platz der Unab­hän­gig­keit, einem der größ­ten und wich­tig­sten Plät­ze der Stadt. Der Name erin­nert an die fran­zö­si­sche Inva­si­on Kata­lo­ni­ens in den Jah­ren 1808 und 1809. Die heu­ti­ge Gestal­tung des Plat­zes wur­de zwi­schen 1855 und 1869 erschaf­fen und seit­dem nur wenig verändert.

Beson­ders inter­es­sant sind hier die Arka­den­gän­ge, die an hei­ßen Som­mer­ta­gen ein schat­ti­ges Plätz­chen bie­ten und im Win­ter auch vor Regen schützen.

Die mei­sten inter­es­san­ten Sehens­wür­dig­kei­ten von Giro­na lie­gen aller­dings am öst­li­chen Ufer des Onyar und da wol­len nun auch wir hin. In der Alt­stadt sind die Häu­ser größ­ten­teils bis direkt ans Ufer gebaut, nur unter­bro­chen von klei­nen Gas­sen, die zu den Brücken füh­ren, sodass ein Spa­zier­gang am Fluss nicht mög­lich ist.

Die wohl berühm­te­ste Brücke der Stadt ist die Pont de les Peix­a­te­ries Vel­les, nicht etwa wegen ihres Alters oder Aus­se­hens, son­dern wegen des berühm­ten Kon­struk­teurs. Der war näm­lich kein Gerin­ge­rer als Gust­ave Eif­fel per­sön­lich und sei­ne Fir­ma über­wach­te im Jahr 1876 auch die Bauausführung.

So ist es auch nicht ver­wun­der­lich, dass auf der knall­ro­ten Fuß­gän­ger­brücke immer etwas los ist, auch am Sonn­tag­mor­gen. Wir tref­fen hier auf eine ame­ri­ka­ni­sche Rei­se­grup­pe, die gera­de an einer Füh­rung teilnimmt.

Direkt von der Brücke haben wir auch einen schö­nen Blick auf die Häu­ser und den Fluss, der im Spät­herbst nur wenig Was­ser führt.

Ein paar Meter wei­ter bie­gen wir in die Car­rer de l’Ar­gen­te­ria ein, die hier eine Fuß­gän­ger­zo­ne ist. Da die mei­sten Geschäf­te am Sonn­tag­mor­gen geschlos­sen sind, sind wir hier fast allei­ne unterwegs.

Wäh­rend wir die Stra­ße ent­lang­lau­fen und uns die Schau­fen­ster anschau­en, sto­ßen wir auf ein gar unge­wöhn­li­ches Geschäft. Und Geschäft kann man hier recht zwei­deu­tig inter­pre­tie­ren, denn ein Geschäft ver­rich­ten sämt­li­che Figu­ren, die es hier zu sehen gibt. Das ist schon ein recht unge­wöhn­li­cher Anblick, beson­ders, wenn man nicht aus Kata­lo­ni­en kommt.

An der Schau­fen­ster­schei­be ist dann aller­dings in meh­re­ren Spra­chen erklärt, was es damit auf sich hat. Der „Caga­ner”, auf Deutsch Schei­ßer, ist eine typi­sche Krip­pen­fi­gur in Kata­lo­ni­en. Tra­di­tio­nell wur­de die Figur als Land­wirt dar­ge­stellt und soll­te mit ihrem „Geschäft” für einen frucht­ba­ren Boden im näch­sten Jahr sor­gen. Außer­dem sym­bo­li­siert der Caga­ner Glück, Freun­de und Wohl­erge­hen und es soll Unglück brin­gen, ihn nicht auf­zu­stel­len. Inzwi­schen gibt es aller­dings nicht nur Land­wir­te, son­dern unzäh­li­ge Ver­sio­nen, dar­un­ter die vie­ler Pro­mi­nen­ter. Der Caga­ner ist zu einem rich­ti­gen Kas­sen­schla­ger geworden.

Wir haben erst ein­mal genug von „Geschäf­ten” und bei­gen in eine der schma­le­ren Gas­sen ein. Hier lohnt es sich öfter, einen Blick nachts rechts und links zu wer­fen, denn fast über­all gibt es etwas zu ent­decken. Eini­ge der Grund­mau­ern in die­ser Gegend sind schon über tau­send Jah­re alt.

Am Ende einer der Gas­sen errei­chen wir die Puja­da de la Cate­dral, eine Trep­pe, die bereits um 1594 erbaut wur­de. Auch eini­ge der Haus­ein­gän­ge tra­gen Jah­res­zah­len aus dem 16. Jahrhundert.

Am Ende der Trep­pe befin­det sich die Kathe­dra­le von Giro­na. Die Haupt- und Bischofs­kir­che ist das domi­nie­ren­de Gebäu­de der Stadt, egal aus wel­cher Rich­tung man sie betrach­tet. Das Got­tes­haus steht auf einem Platz neben der Nord­mau­er und am Ran­de der Alt­stadt. Auf sech­zig Metern Höhe errich­tet, wur­de die Stadt um sie her­um ter­ras­sen­för­mig angelegt.

Eini­ge der Grund­mau­ern der Kathe­dra­le stam­men noch von dem römi­schen Kastell, das hier vor rund zwei­tau­send Jah­ren gestan­den hat, auch wenn der Bau sel­ber aus der Zeit der Gotik stammt. Bau­be­ginn einer ersten roma­ni­schen Kir­che war bereits 1010, doch schon Ende des 13. Jahr­hun­derts stell­te sich die­se als viel zu klein her­aus, da die Bevöl­ke­rung mas­siv gewach­sen war. Doch die Umbau­ar­bei­ten ver­lie­fen nicht wie geplant und zogen sich über eine sehr lan­ge Zeit. Zwar war das neue Kir­chen­schiff bereits 1660 fer­tig, rich­tig abge­schlos­sen wur­de der Bau jedoch erst 1975 mit dem Anbrin­gen eines letz­ten Fassadenteils.

Wir betre­ten die Kir­che durch das Süd­por­tal, das ist sei­nen Grund­zü­gen bereits 1370 fer­tig­ge­stellt wur­de, und wahr­schein­lich auch der Süd­ein­gang der roma­ni­schen Kir­che war. Wer genau­er hin­schaut, wird erken­nen, dass es zwölf lee­re Nischen gibt. In ihnen stan­den einst die zwölf Apo­stel, wes­we­gen der Platz vor der Kir­che gen Süden auch Apo­stel­platz heißt. Die Figu­ren wur­den jedoch 1936 in den Wir­ren des spa­ni­schen Bür­ger­krie­ges fast alle zer­stört. Nur zwei der Figu­ren, der hei­li­ge Petrus und der hei­li­ge Pau­lus, sind erhal­ten geblie­ben und ste­hen heu­te in der Kirche.

Wer die Kathe­dra­le betritt, gelangt in ein gewal­ti­ges Kir­chen­schiff. Beson­ders die Brei­te der Kir­che ist ein­zig­ar­tig und so besitzt die Kathe­dra­le von Giro­na mit 23 Metern Brei­te sogar das brei­te­ste goti­sche Kir­chen­schiff der Welt.

Trotz der lan­gen Bau­zeit über meh­re­re Jahr­hun­der­te ist man bei der Aus­ge­stal­tung einem Kreuz­rip­pen­ge­wöl­be und einer recht schlich­ten Gestal­tung treu geblieben.

Um das Kir­chen­schiff her­um befin­det sich ein Kapel­len­gang mit 29 ver­schie­de­nen Kapel­len, in denen teil­wei­se auch Grab­stät­te zu fin­den sind. Der Altar­raum hin­ge­gen wirkt klein, dafür reich ver­ziert, und befin­det sich im älte­sten Teil der Kir­che, der bereits zwi­schen 1312 und 1350 erbaut wur­de. Die Bunt­glas­fen­ster der Apsis sind die älte­sten im Gebäu­de und stam­men eben­falls aus dem 14. Jahr­hun­dert. Der Altar selbst stammt bereits aus dem 11. Jahr­hun­dert und stand schon in der roma­ni­schen Vor­gän­ger­kir­che. Gekrönt wird der Altar von einem sil­ber­nen Bal­da­chin, der von vier sechs­ecki­gen Säu­len getra­gen wird.

Wir tre­ten schließ­lich wie­der aus der Kathe­dra­le, die­ses Mal aller­dings durch den West­ein­gang. Hier kann man beson­ders gut den Höhen­un­ter­schied zur Stadt erken­nen. Wem die Kathe­dra­le und beson­ders die Stu­fen davor jetzt bekannt vor­kom­men, der ist wohl Fan von Games of Thro­nes. So man­che Sze­ne der Erfolgs­se­rie wur­de hier im Her­zen von Giro­na gedreht. Am Meer liegt Giro­na aller­dings nicht. Das wur­de für die Serie am Com­pu­ter eingefügt.

Die West­fas­sa­de der Kathe­dra­le wur­de im 17. Jahr­hun­dert kom­plett im Barock­stil gestal­tet. Dazu gehört nicht nur das präch­ti­ge drei­stöcki­ge Altar­bild über dem Ein­gang, son­dern auch die gesam­te Frei­trep­pe, die zwi­schen 1690 und 1694 neu ange­legt wur­de. Der Glocken­turm hin­gen wur­de erst 1751 fer­tig­ge­stellt und steht an sel­ber Stel­le wie sein roma­ni­scher Vorgängerturm.

Unse­ren Stadt­rund­gang set­zen wir nun mit einem Gang durch das Por­tal de Sob­re­por­tes fort. Das Stadt­tor bil­det den nörd­li­chen Zugang zur Alt­stadt und ist auf der der Stadt zuge­wand­ten Sei­te mit einem fili­gra­nen Wand­bild verziert.

Das Por­tal selbst stammt bereits aus der römi­schen Zeit und bil­de­te einen der Zugän­ge zum Kastell. Der Bau wird aber größ­ten­teils durch die mäch­ti­gen, zylin­dri­schen Tür­me, die im 13. Jahr­hun­dert ange­fügt wur­den, ummantelt.

Wer das erste Bild die­ses Tages­be­rich­tes genau­er betrach­tet hat, der wird sich erin­nern, dass über der Innen­stadt von Giro­na noch ein zwei­ter Kir­chen­turm thront. Die­ser gehört zur Basi­li­ka St. Felix, der älte­sten Kir­che der Stadt. Der ursprüng­li­che Bau des Got­tes­hau­ses stammt bereits aus der Früh­zeit des Chri­sten­tums und so gibt es Relik­te aus dem 6. Jahr­hun­dert in der Kir­che. Die heu­ti­ge Außen­an­sicht ist aber erst durch Umbau­ten zwi­schen dem 12. und 17. Jahr­hun­dert entstanden.

Innen zeigt die Basi­li­ka Gemein­sam­kei­ten und Unter­schie­de zur Kathe­dra­le. So gibt es eben­falls ein goti­sches Kreuz­rip­pen­ge­wöl­be, das Kir­chen­schiff selbst ist jedoch schma­ler und die Kapel­len­gän­ge dafür durch gewal­ti­ge Rund­bö­gen abge­trennt, die noch aus der Roma­nik stammen.

In der Kir­che fin­den sich gro­ße, reich ver­zier­te Sei­ten­ka­pel­len mit kost­ba­rer Aus­stat­tung, die wie klei­ne eige­ne Kir­chen wir­ken. Beson­ders die Wän­de aus Mar­mor und die Decken­ge­mäl­de sind einzigartig.

Wäh­rend sich unser Stadt­rund­gang so lang­sam dem Ende zuneigt, möch­te ich noch kurz auf den Namen der Basi­li­ka ein­ge­hen. Sie ist dem hei­li­gen Felix gewid­met, der 307 in Giro­na ermor­dert wor­den sein soll. Der Sohn aus rei­chem Hau­se, der zum Chri­sten­tum kon­ver­tier­te, soll vor den Ver­fol­gern der Chri­sten mit sei­nem Bischof geflo­hen sein. Ob es den hei­li­gen Felix aller­dings wirk­lich gab, ist heu­te umstrit­ten. Oft­mals wird auch behaup­tet, dass hier ver­schie­de­ne Geschich­ten in einer Per­son ver­mischt wur­den. Nichts­de­sto­trotz hat der hei­li­ge Felix sei­nen Platz im katho­li­schen Glau­ben und sein Gedenk­tag ist der 1. August.

Der Bischof, mit dem Felix unter­wegs war, und der eben­falls 307 in Giro­na zu Tode kam, war Nar­cissus von Giro­na. Auch beim ihm ist sei­ne Exi­stenz nicht hun­dert­pro­zen­tig bewie­sen. Auf dem Weg zurück zum Fluss­ufer begeg­nen uns noch zwei Denk­mä­ler, die an den ersten Bischof von Giro­na erin­nern. Zum einen sind das die Flie­gen an der Wand. Die­se ste­hen sym­bo­lisch für Flie­gen, Schna­ken und Mücken, die wie­der­holt Ein­dring­lin­ge in die Stadt ver­trie­ben haben sol­len. Der Legen­de nach sind sie aus dem Sar­ko­phag von Nar­cissus auf­ge­stie­gen, der sich bis 1936 in Giro­na befand, in den Wir­ren des Bür­ger­krie­ges aber verschwand.

Nar­cissus wird heu­te nicht nur in Giro­na, son­dern in ganz Spa­ni­en ver­ehrt. Er ist auch der Schutz­hei­li­ge der Stadt. Wäh­rend der Chri­sten­ver­fol­gung floh er mit sei­nem Dia­kon Felix nach Augs­burg, wo die bei­den vie­le Men­schen tauf­ten und Gläu­bi­ge betreu­ten. Rund neun Mona­te waren sie in der Stadt, bevor sie den Rück­weg nach Giro­na antra­ten. An die­se Wan­de­rung soll der Fuß mit der San­da­le erinnern.

Schließ­lich errei­chen wir wie­der den Onyar, den wir nun auf einer ande­ren Fuß­gän­ger­brücke über­que­ren. Von hier sind noch ein­mal schön die bei­den Tür­me der Basi­li­ka und der Kathe­dra­le zu sehen.

Unser Stadt­rund­gang endet wie­der an der Park­ga­ra­ge, in der unser Miet­wa­gen auf uns war­tet. Sicher­lich gäbe es noch eini­ges mehr in Giro­na zu ent­decken, doch einen ersten Über­blick hat uns der Rund­gang gege­ben. Für uns geht es nun wei­ter nach Nor­den und neu­en Zie­len entgegen.

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