Into the unknown

Tag 12: Mon­tag, 10. Okto­ber 2016
Au revoir chers amis – Rivère-​du-​Loup nach Lubec

„The­re are many ways of going for­ward, but only one way of stan­ding still.” – Frank­lin D. Roosevelt

Heu­te heißt es Abschied neh­men, zuerst von Que­bec und spä­ter auch von Kana­da. Das fällt bei bedeck­tem Him­meln, Tem­pe­ra­tu­ren fast am Gefrier­punkt und einem eisi­gen Wind aber auch gar nicht so schwer. Unglaub­lich, dass ich vor weni­gen Tagen noch im T‑Shirt unter­wegs war. Heu­te brau­che ich fast die Win­ter­jacke. Noch ein­mal fah­re ich kurz zum St. Lorenz. Irgend­wann ein­mal will ich noch ein­mal hier­her zurück, um viel­leicht mit der Fäh­re zu fah­ren und die Mün­dung zu besu­chen. Heu­te aber begnü­ge ich mich mit einem letz­ten Stopp in Rivière-​du-​Loup. Ich fah­re den klei­nen Rund­weg durch den Parc de la Pointe.

Ein beson­de­res Wahr­zei­chen des Parks ist die­ser India­ner­kopf. Vor mehr als fünf­zig Jah­re ent­deck­te man, dass der Fels an die­ser Stel­le einem mensch­li­chen Gesicht ähnel­te. Damals wur­de dann ein India­ner­kopf auf den Fel­sen gemalt, der über die Jah­re immer wie­der mit neu­er Far­be ver­se­hen wurde.

Dann fah­re ich auf den Trans Cana­da High­way und fol­ge die­sem durch die end­lo­sen Wäl­der Kana­das. Unter­wegs wird immer wie­der auf Elche hin­ge­wie­sen, doch zu Gesicht bekom­me ich lei­der keinen.

Schließ­lich errei­che ich die Gren­ze zu New Bruns­wick. Ab hier gilt dann nicht mehr rei­nes Fran­zö­sisch, son­dern zwei­spra­chig, denn im Gegen­satz zu Que­bec sind Eng­lisch und Fran­zö­sisch gleich­be­rech­tig­te Amtssprachen.

Die Fahrt durch New Bruns­wick ist aber nur kurz, denn schon zwi­schen Edmund­s­ton und dem Städt­chen Mada­was­ka errei­che ich schließ­lich den Grenz­über­gang zu den USA. Der Weg führt über eine eiser­ne Brücke zu einem Häus­chen, in dem ein ein­zel­ner Grenz­be­am­ter sitzt. Der freut sich, mal einen deut­schen Pass zu sehen, schwatzt kurz mit mir und wünscht mir dann noch einen schö­nen Tag.

Hier in Mada­was­ka führt mich mein erster Weg gleich zur Tank­stel­le. Da Ben­zin in Kana­da ent­schie­den teu­rer ist, habe ich dort nicht noch ein­mal getankt. Und man sieht, dass das auch vie­le Kana­di­er so machen, denn die Tank­stel­len hier an der Gren­ze zei­gen ihre Prei­se in Gal­lo­nen und Litern an.

An der Tank­stel­le begrüßt mich ein net­ter Herr, tankt für mich und sagt ich sol­le mir doch inzwi­schen einen Kaf­fee holen, der wäre diens­tags immer gra­tis, wenn man für mehr als $20 tankt. Da ich aber kei­nen Kaf­fee trin­ke, schenkt er mir einen Kakao, obwohl der eigent­lich gar nicht zum Ange­bot gehört.

Kur­ze Zeit spä­ter errei­che ich den Saint John River. Den 673 km lan­gen Fluss ken­ne ich schon von mei­ner Rei­se in die atlan­ti­schen Pro­vin­zen Kana­das in 2010, doch hier in Maine hat er sei­nen Ursprung und bil­det für 130 Kilo­me­ter sogar die Gren­ze zwi­schen Maine und New Brunswick.

Wei­ter geht die Fahrt zu einem Ort, den ich schon lan­ge ein­mal besu­chen will. Unter­wegs bin ich nun auf der US 1. Die­se Stra­ße bin ich schon auf unzäh­li­gen Rei­sen gefah­ren, denn sie führt die gan­ze Ost­kü­ste ent­lang bis nach Key West. Hier aber, im klei­nen Ört­chen Fort Kent, im äußer­sten Nor­den von Maine, hat sie ihren Ursprung und wird mit einem Mar­ker geehrt.

Gleich neben dem Mar­ker liegt die Claire-​Fort Kent Bridge, die Kana­da mit den USA ver­bin­det. Die Brücke wur­de erst 2014 eröff­net, nach­dem eine vor­he­ri­ge Kon­struk­ti­on auf­grund von Schä­den nicht mehr genutzt wer­den konnte.

In Fort Kent hal­te ich noch an der Fort Kent Sta­te Histo­ric Site. Die­ses klei­ne Fort war der nörd­lich­ste Stütz­punkt in Maine wäh­rend des soge­nann­ten „Aroo­stook Wars” im Jahr 1830. Dabei ging es um einen Kon­flikt zwi­schen den USA und Groß­bri­tan­ni­en, um den Grenz­ver­lauf zwi­schen bei­den Staa­ten. Der Kon­flikt konn­te aber schließ­lich ohne Kampf­hand­lun­gen bei­gelegt wer­den. Lei­der ist das Haus geschlos­sen, was wohl dar­an liegt, dass die Sai­son hier im Nor­den schon längst vor­bei ist.

Für die näch­sten 50 Mei­len geht es nun durch die Ein­sam­keit von Main­es Wäl­dern. Nur ab und zu begeg­net mir ein Auto und die Ort­schaf­ten mit den wohl­klin­gen­den Namen wie New Cana­da oder Stock­holm sind kaum der Rede wert.

Zwi­schen­durch errei­che ich dann Städt­chen wie Cari­bou oder Pres­que Isle, wo für die abge­le­ge­ne Gegend das Leben zu toben scheint. Hier gibt es Super­märk­te und eine Hand­voll Restau­rants. Auch nach Houl­ton, der letz­ten Stadt am I‑95 vor Kana­da, kom­me ich. Hier war ich 2010 schon ein­mal. Danach geht es wie­der zurück in die Wäl­der, immer der US 1 nach Süden folgend.

Fast 200 Mei­len Fahrt habe ich seit Fort Kent hin­ter mir, bis ich die St. Croix Island Inter­na­tio­nal Histo­ric Site errei­che. Maine ist grö­ßer als der gan­ze Rest von New Eng­land zusam­men, aber das wird einem erst so rich­tig bewusst, wenn man den Staat ein­mal kom­plett durch­quert. Allein die US 1 ver­läuft gan­ze 527 Mei­len durch Maine, da liegt also noch ein gan­zes Stück Strecke vor mir. Jetzt mache ich aber erst ein­mal an der Histo­ric Site Halt. Und ich habe Glück, denn das Visi­tor Cen­ter ist heu­te den letz­ten Tag in 2016 geöffnet.

Im Visi­tor Cen­ter emp­fängt mich eine Ran­ge­rin, die ganz ent­zückt ist, als ich ihr erzäh­le, woher ich kom­me. Wir unter­hal­ten uns eine gan­ze Wei­le und ich bekom­me einen neu­en Stem­pel für mei­nen Natio­nal Park Pass. Ich bin der ein­zi­ge Gast an die­sem trü­ben Nach­mit­tag. In knapp einer Stun­de wird sie ihr Visi­tor Cen­ter bis zum Früh­jahr 2017 schließen.

Auf die Insel selbst, die der Histo­ric Site ihren Namen gibt, kommt man als Besu­cher übri­gens nicht, doch hier am Ufer wird die Geschich­te genaue­stens erklärt. St. Croix Island hat gro­ße Bedeu­tung für die Besied­lung von Nord­ame­ri­ka, beson­ders auch dem Gebiet, aus dem ich gera­de komme.

Wäh­rend der Besu­cher also, durch einen klei­nen, ver­wun­sche­nen Wald läuft, wird ihm die Geschich­te näher gebracht. Einst leb­te in die­sem Gebiet nur das Volk der Passa­ma­quod­dy, bis 1604 die Fran­zo­sen kamen und sich auf der klei­nen Insel mit­ten im St. Croix River nie­der­lie­ßen. Lei­ter der Expe­di­ti­on war Pierre Dugua de Mons, der vom fran­zö­si­schen König das Pri­vi­leg zur Kolo­ni­sa­ti­on zwi­schen dem 40. und 60. Brei­ten­grad erhielt. Der har­te Win­ter 1604/​05 dezi­mier­te die Expe­di­ti­on und nur die Hälf­te der Sied­ler über­leb­te. Vie­le zogen dann an die Bay of Fun­dy und grün­de­ten dort das heu­ti­ge Anna­po­lis Roy­al. Unter den Sied­lern war auch Samu­el de Cham­plain, der 1608 ins Inne­re des Kon­ti­nents vor­drang und Que­bec gründete.

Bis 1613 sie­del­ten die Fran­zo­sen noch auf der Insel, dann wur­den sie von den Eng­län­dern, die aus Jame­stown, Vir­gi­nia kamen, ver­trie­ben. Für 150 Jah­re blieb das Gebiet ein Nie­mands­land und die Urein­woh­ner, die ein­zi­gen Men­schen, die in hier sie­del­ten. Erst 1783 wur­de im Frie­den von Paris der St. Croix River als Gren­ze zwi­schen den Ver­ei­nig­ten Staa­ten und Britisch-​Nordamerika festgelegt.

Am Ende des Weges erreicht man schließ­lich einen klei­nen Pavil­lon, in dem sich ein Modell der ersten fran­zö­si­schen Sied­lung befindet.

Und von hier hat man dann auch einen Blick auf die Insel im St. Croix River.

Als ich zum Park­platz zurück­keh­re, tref­fe ich noch ein­mal auf die Ran­ge­rin, die mir anbie­tet, mich noch vor dem Schild zu fotografieren.

Den gan­zen Nor­den von Maine habe ich nun durch­quert und lan­de im Städt­chen Lub­ec. Hier war ich 2010 schon ein­mal, weil hier der öst­li­che Punkt der USA liegt. Erst ein­mal fah­re ich aber nur durch den Ort und wie­der zur Gren­ze, denn jetzt star­tet der etwas kurio­se Teil der Rei­se, ich wer­de noch­mals nach Kana­da fah­ren. Ich habe mir ja etwas Sor­gen gemacht, dass man mich etwas schief beäu­gen wür­de, weil ich so schnell hin­ter­ein­an­der aus- und wie­der ein­rei­se, doch alles klappt ganz pro­blem­los. So errei­che ich Cam­po­bel­lo Island in New Bruns­wick. Und eine neue Zeit­zo­ne, denn wäh­rend Maine zur Eastern Stan­dard Time gehört, hat man auf der Insel die Atlan­tic Stan­dard Time.

Cam­po­bel­lo gehört zwar zu Kana­da, kann auf dem Land­weg aber nur über die USA erreicht wer­den. Die ein­zi­ge Fähr­ver­bin­dung zum kana­di­schen Fest­land ope­riert nur im Som­mer. Die Insel ist eigent­lich ziem­lich ver­schla­fen, wäre da nicht ein Haus, das einem ehe­ma­li­gen Prä­si­den­ten der USA gehör­te – Frank­lin Del­ano Roo­se­velt. Sei­ne Fami­lie besaß hier ein klei­nes Anwe­sen, auf dem sie die Som­mer ver­brach­te. Roo­se­velt war schon in sei­ner Jugend hier und kehr­te auch mit sei­ner Fami­lie zurück. Hier war es übri­gens auch, wo sich Roo­se­velt beim Schwim­men mit Polio infizierte.

Heu­te ist das Anwe­sen ein Muse­um und unter gemein­sa­mer Ver­wal­tung von den USA und Kana­da ein Inter­na­tio­nal Park. Zuerst besu­che ich das Visi­tor Cen­ter, in dem sich ein klei­nes Muse­um zum Leben des Prä­si­den­ten befin­det. Nun ist Roo­se­velt für mich kein Unbe­kann­ter, denn ich habe schon sei­ne Häu­ser, die Pre­si­den­ti­al Libra­ry und ver­schie­de­ne Muse­en und Monu­men­te besucht, doch hier wird der Focus beson­ders auf sein Pri­vat­le­ben gelenkt.

Nur ein kur­zer Fuß­weg ist es dann bis zum Som­mer­haus der Roo­se­velts. Ich habe im Visi­tor Cen­ter eine Kar­te mit einer Uhr­zeit bekom­men, zu der ich mich an der Haus­tür ein­fin­den soll.

An der Tür emp­fängt mich eine Mit­ar­bei­te­rin und gibt eine kur­ze Ein­füh­rung zum Haus und sei­nen Bewoh­nern. Danach darf ich mich auf eige­ne Faust durch die Räu­me bewegen.

Erbaut wur­de das Haus 1897 für die Bos­to­ner Fami­lie Kuhn. Roo­se­velts Mut­ter und Mrs. Kuhn freun­de­ten sich bei Besu­chen auf der Insel an und schließ­lich ver­kauf­te sie Sara Ann Del­ano das Anwe­sen im Jahr 1909.

Die jun­ge Fami­lie Roo­se­velt ver­brach­te vie­le Som­mer in dem Haus. Sohn Frank­lin Del­ano jr. wur­de hier 1914 sogar gebo­ren. Nach sei­ner Polio Erkran­kung kehr­te Roo­se­velt nur noch drei­mal zurück, denn es war für ihn zu beschwer­lich, hier­her zu rei­sen und sich im Haus zu bewe­gen. Ele­a­n­or Roo­se­velt und ihre Kin­der nutz­ten das Haus aber weiter.

Zum Anwe­sen gehört auch ein weit­läu­fi­ges Grund­stück. Nur unweit des Hau­ses steht das klei­ne Eis­haus. Hier wur­de im Win­ter Eis ver­staut, das dann im Som­mer genutzt wer­den konnte.

Zum Park gehö­ren heu­te vier wei­te­re Cot­ta­ges, die um 1900 für rei­che Ame­ri­ka­ner erbaut wor­den sind, die hier ihren Som­mer ver­brach­ten. So auch das 1892 für einen Bos­to­ner Ver­si­che­rungs­mak­ler erbau­te Hub­bard Cot­ta­ge, das heu­te für Kon­fe­ren­zen gemie­tet wer­den kann.

Ich fah­re noch wei­ter zum Nor­den­de der Insel, denn hier soll es einen wei­te­ren Leucht­turm geben. Inzwi­schen ver­schwin­den zwar die Wol­ken, aber es weht ein eisi­ger Wind.

Der Leucht­turm, der unter dem Namen Head Har­bor Light oder East Quod­dy Light­house bekannt ist, liegt auf einer klei­nen Insel am Nor­den­de von Cam­po­bel­lo Island. Der Turm wur­de 1829 erbaut, um Schif­fen die Navi­ga­ti­on in der Bay of Fun­dy zu erleich­tern, und bis 1988 aktiv genutzt. So weit, so gut, was mei­ne Quel­len mir aber irgend­wie nicht mit­teil­ten, ist die Tat­sa­che, dass man zum Leucht­turm nur bei Ebbe kommt. Momen­tan endet die Trep­pe zur Insel im Meer, das bei die­sem Sturm auch noch ziem­lich bedroh­lich wirkt. Na toll, so bleibt mir nur der Blick aus der Ferne.

Es ist wirk­lich unge­müt­lich heu­te Abend mit dem Wind und so blei­be ich nicht lan­ge, bevor ich den Rück­weg nach Lub­ec antrete.

Weit ist es nicht bis zur Gren­ze und auch dies­mal ist der Grenz­über­tritt völ­lig unpro­ble­ma­tisch. Ich hal­te sogar ein kur­zes Schwätz­chen mit dem Offi­cer, bevor ich wie­der in den USA bin und eine Stun­de gewon­nen habe. Völ­lig sur­re­al, das Gan­ze. Ich fah­re noch schnell zum IGA, um etwas zu essen zu kau­fen. Vie­le Mög­lich­kei­ten gibt es hier in Lub­ec nicht und der Super­markt schließt tat­säch­lich schon um 19 Uhr.

Dann fah­re ich zum East­land Motel, das ich über Tri­p­ad­vi­sor gefun­den habe. Ket­ten­ho­tels sucht man in Lub­ec ver­geb­lich, aber das fami­liä­re Motel hat­te gute Bewer­tun­gen und konn­te online gebucht wer­den. Ich bekom­me ein nied­li­ches Zim­mer, bei dem ich noch ganz klas­sisch direkt vor der Tür par­ken kann. Und wenn ich vor der Tür sage, mei­ne ich das auch so. Ich konn­te mein Gepäck aus­la­den, wäh­rend ich noch im Tür­rah­men stand.

Mei­len: 372
Wet­ter: 3–11 Grad, hei­ter bis wolkig
Hotel: The East­land Motel

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