Traumziele im Mittelmeer – mit dem Schiff von Rom nach Barcelona

Tag 4: Sams­tag, 22. Okto­ber 2022
Im Reich des Kai­sers – Elba – Teil 1

„Wege ent­ste­hen dadurch, dass man sie geht.” (Franz Kafka)

Die erste Nacht an Bord ist vor­bei. Ich habe gut geschla­fen und die See war ruhig. Als ich die Vor­hän­ge zurück­zie­he, krie­ge ich aber doch ein biss­chen schlech­te Lau­ne. Die Wol­ken hän­gen ziem­lich tief. Das muss unbe­dingt noch bes­ser wer­den. Aber noch gebe ich die Hoff­nung nicht auf. So eine Situa­ti­on hat­te ich mal auf Ber­mu­da. Früh kühl und bedeckt, aber dann kam die Son­ne raus. Hof­fent­lich ist das heu­te auch so.

Von mei­nem Bal­kon kann ich schon unser heu­ti­ges Ziel sehen, die Insel Elba, genau­er gesagt deren Haupt­stadt Por­tof­er­raio. Dort ganz rechts, wo der Leucht­turm steht, wer­de ich spä­ter noch hin­kom­men, doch noch weiß ich davon nichts. Erst ein­mal heißt es anle­gen am klei­nen Pier der Inselhauptstadt.

Por­tof­er­raio ist eine von sie­ben Gemein­den auf der Insel Elba, die zur Regi­on Tos­ka­na gehört. Der Name bedeu­tet über­setzt „Eisen­ha­fen”, was auf den Eisen­erz­ab­bau auf Elba zurück­zu­füh­ren ist. Por­tof­er­raio hat heu­te rund 12.000 Ein­woh­ner und liegt im Nor­den der Insel an einem Fels­vor­sprung rund um einen natür­li­chen Hafen, der schon von den Römern genutzt wurde.

Auch für uns tut sich heu­te ein gewal­ti­ger Vor­teil der Aza­ma­ra Onward auf, denn auf­grund des eher klei­nen Schif­fes kön­nen wir am Pier anle­gen und müs­sen hier nicht ten­dern. Über­haupt kann Elba nicht von jeder Schiffs­grö­ße ange­lau­fen wer­den, für die kom­pak­te Aza­ma­ra Onward ist das aber kein Problem.

Es gibt zwar auch einen Kreuz­fahrt­pier, der mit­tel­gro­ße Schif­fe und die Fäh­ren auf­neh­men kann, wir aber sind so klein, dass wir am Pier direkt im Stadt­zen­trum andocken kön­nen. Das ist natür­lich ein unschätz­ba­rer Vor­teil, denn so sind wir hier sozu­sa­gen gleich mittendrin.

Nun heißt es nur noch Lei­nen raus und schon kön­nen wir am Pier fest­ma­chen. Da sich mei­ne Kabi­ne an Steu­er­bord befin­det, wir aber mit der Back­bord­sei­te fest­ma­chen, bin ich für die­ses Manö­ver auf das Pro­me­na­den­deck gegangen.

Wäh­rend wir auf die Frei­ga­be des Schif­fes war­ten, gehen C. und ich erst ein­mal früh­stücken. Heu­te wäh­len wir einen Tisch auf dem offe­nen Deck an Heck, denn auch wenn es noch bedeckt ist, so ist es doch schon recht warm und so ein Früh­stück mit Aus­sicht, das ist schon schön.

Anschlie­ßend heißt es für uns aber run­ter vom Schiff, denn schließ­lich wol­len wir von Elba auch etwas sehen. Auf der Insel waren wir bei­de noch nie, sodass es für uns abso­lu­tes Neu­land ist. Nach eini­ger Über­le­gung haben wir uns ent­schie­den, kei­nen der vom Schiff ange­bo­te­nen Aus­flü­ge zu buchen. Die sind hier auf Elba ziem­lich teu­er und alles, was wir sehen woll­ten, war auch nicht inklu­diert. So kamen wir auf die Idee, ein Auto zu mie­ten. Reser­viert haben wir den Wagen bei einem deut­schen Ver­mitt­ler und hof­fen nun, dass das auch so klappt, wie wir uns das vor­ge­stellt haben. Zunächst geht es für uns zu Fuß los, dicht vor­bei am Heck unse­res Schif­fes. Von hier unten sieht die Aza­ma­ra Onward gar nicht so klein aus.

Rund zehn Minu­ten lau­fen wir, bis wir vor die­sem Kiosk ste­hen, der die ange­ge­be­ne Adres­se des Ver­mie­ters ist. Doch was ist das? Der Laden ist ver­rie­gelt und ver­ram­melt. Sehr komisch. Ein klei­nes Schild an der Tür weist uns zu einem nahen Fahr­rad­ge­schäft, wo man sich mel­den sol­le. Das will aber erst ein­mal gefun­den wer­den, denn anson­sten gibt es nur zwei Tele­fon­num­mern und eine Infor­ma­ti­on auf Italienisch.

Dank der Hil­fe von Goog­le kön­nen wir den Laden aber aus­fin­dig machen. Er befin­det sich in einem Ein­kaufs­zen­trum, das nur einen kur­zen Fuß­weg ent­fernt ist. Und tat­säch­lich bekom­men wir hier auch unse­re Schlüs­sel aus­ge­hän­digt. Mehr über den Ver­mie­ter und den Miet­wa­gen gibt es in mei­nem Review zum Miet­wa­gen auf Elba.

Uns wird auf dem Park­deck ein ziem­lich alter und etwas mit­ge­nom­me­ner Ford Fie­sta aus­ge­hän­digt. Eine lan­ge Tour wür­de ich damit eher nicht fah­ren wol­len, aber für eine klei­ne Insel­rund­fahrt wird es schon gehen.

So machen wir uns dann auf den Weg, zunächst ins Zen­trum von Por­tof­er­raio. Das ist zwar nicht weit, aber ziem­lich hüge­lig, sodass das Auto von Vor­teil ist, auch wenn die Stra­ßen teil­wei­se aben­teu­er­lich schmal sind. Noch dazu gibt es hier irgend­ei­ne Durch­fahrts­be­schrän­kung, aber so ganz kön­nen wir mit dem ita­lie­ni­schen Schild nichts anfan­gen und hof­fen doch mal alles rich­tig ver­stan­den zu haben. Spoi­ler: Muss wohl auch so gewe­sen sein, denn ein Knöll­chen gab es nicht.

Unser erstes Ziel ist die Vil­la Muli­ni, ein Palast im Her­zen von Por­te­fer­raio, der durch einen sei­ner Bewoh­ner welt­be­rühmt wur­de, Napo­le­on Bona­par­te. Die Geschich­te des Gebäu­des reicht aber wei­ter zurück, denn erbaut wur­de die Vil­la Muli­ni bereits 1724 für Gian Gastone de’­Me­di­ci. Damals sah sie jedoch nicht so aus, denn ihr heu­ti­ges Design erhielt sie erst durch den livor­ne­si­schen Archi­tek­ten Pao­lo Bar­gig­li, der im Auf­trag von Napo­le­on umfas­sen­de Umbau­ar­bei­ten vornahm.

Wäh­rend die Vil­la noch immer so aus­sieht wie zu Napo­le­ons Zei­ten, ist das beim Inte­ri­eur lei­der nicht der Fall. Erst seit 2014 gibt es das Muse­um und zuvor wur­de die Vil­la ander­wei­tig genutzt, das Mobi­li­ar ist lei­der größ­ten­teils ver­schol­len. So wur­de die Vil­la mit zeit­ge­nös­si­schen Möbeln ein­ge­rich­tet, um zumin­dest einen Ein­druck vom Leben des fran­zö­si­schen Kai­sers auf Elba zu geben.

Doch war­um war Napo­le­on eigent­lich auf Elba? Nach der ver­lo­re­nen Völ­ker­schlacht bei Leip­zig wur­de der Kai­ser von den Sie­ger­mäch­ten gezwun­gen, vom fran­zö­si­schen Thron abzu­dan­ken, und auf die klei­ne ita­lie­ni­sche Insel ins Exil geschickt. Das soll­te zwar am Ende nur zehn Mona­te dau­ern, doch ließ Napo­le­on in die­ser Zeit gleich zwei Vil­len errich­ten und sei­ne Herr­schaft über die Insel hat­te vie­le posi­ti­ve Effek­te für Elba. Der Kai­ser war beliebt und brach­te mehr Neue­run­gen auf die Insel als jede Regie­rung vor ihm.

In der Vil­la Muli­ni sind zwei Stock­wer­ke für Besu­cher geöff­net und ich kann mich hier auf eige­ne Faust bewe­gen. Erklä­run­gen gibt es auf mehr­spra­chi­gen Schil­dern, auch in Deutsch. Im Ober­ge­schoss kann ich zum ersten Mal auch einen Blick aus dem Fen­ster auf den Gar­ten wer­fen, den ich spä­ter noch erkun­den werden.

Erst ein­mal set­ze ich mei­nen Rund­gang fort und kom­me in den größ­ten Raum des Hau­ses, den Fest­saal. In der dama­li­gen Zeit war es üblich, hier ein Prunk­bett auf­zu­stel­len und so sei­ne Macht und Posi­ti­on zu demon­strie­ren. Das Bett von Napo­le­on wur­de, wie die mei­sten Möbel, extra aus Frank­reich angeliefert.

Die zwei Büsten zei­gen den Kai­ser, wie er tra­di­tio­nell dar­ge­stellt wur­de, sowie sei­ne Schwe­ster, Pao­li­na Borg­he­se, die ihn auf die Insel begleitete.

Die Decke in die­sem Raum ist beson­ders schön ver­ziert. Wie ein zar­ter Schlei­er erscheint die Bema­lung, die ori­gi­nal­ge­treu wie­der­her­ge­stellt wurde.

Ein wei­te­res Schlaf­zim­mer wur­de ursprüng­lich für Napo­le­ons Ehe­frau her­ge­rich­tet, die jedoch nie nach Elba kam. Statt­des­sen rei­ste sei­ne Schwe­ster an, die die­sen Raum dann den ihri­gen nann­te. Das Bett ist übri­gens eines der weni­gen Ori­gi­na­le im Haus und soll sogar zunächst von Napo­le­on selbst genutzt wor­den sein, bevor sei­ne Schwe­ster die Insel im Okto­ber 1814 erreichte.

Ein Blick aus dem Fen­ster eröff­net mir hier einen Blick auf den seit­li­chen Gar­ten und die dahin­ter­lie­gen­de Straße.

Und hier macht C. einen Schnapp­schuss von mir, da sie nicht mit in das Haus gekom­men ist.

In einem der Zim­mer ist ein kost­ba­rer Man­tel aus­ge­stellt, der einst Napo­le­ons Schwe­ster gehör­te. Sie hat­te ihn wohl aus Paris mit­ge­bracht und wäh­rend ihrer zahl­rei­chen Feste und Emp­fän­ge getragen.

Für mich geht es nun wie­der eine Eta­ge tie­fer und dort zeigt sich, wie modern die Vil­la ein­ge­rich­tet war, denn man hat­te immer­hin schon eine Innen­toi­let­te, etwas, das die mei­sten Häu­ser erst sehr viel spä­ter bekamen.

Im näch­sten Raum ist ein Klapp­bett aus­ge­stellt. Die­ses wur­de zwar nicht von Napo­le­on genutzt, aller­dings wohl von sei­ner Frau ange­schafft. Ein Bett wie die­ses war zu jener Zeit popu­lär und der Kai­ser rei­ste nir­gend­wo ohne sein Klapp­bett hin. Ja sogar zu Hau­se in sei­nen Schlös­sern hat­te er immer ein sol­ches Klapp­bett zu ste­hen. Es besteht aus einem eiser­nen Rah­men, der durch ein spe­zi­el­les Patent kom­plett zusam­men­ge­legt wer­den kann. Aus Auf­zeich­nun­gen ist bekannt, dass der Kai­ser drei Matrat­zen aus Pfer­de­haar auf das Bett leg­te, um dar­in zu schlafen.

Die­ser Raum war ursprüng­lich das Schlaf­zim­mer von Napo­le­on, doch ist er momen­tan als Salon mit Möbeln aus der Zeit des Kai­sers eingerichtet.

Die Biblio­thek hin­ge­gen zeigt sich wie zu Kai­sers Zei­ten. Napo­le­on brach­te kisten­wei­se Bücher mit aus Frank­reich, denn er war sehr inter­es­siert an fran­zö­si­scher Geschich­te, aber auch Thea­ter­stücken sowie Land­wirt­schaft und Philosophie.

Vom Haus gelan­ge ich in den klei­nen Gar­ten, der sich zwi­schen der Vil­la und dem Meer befin­det. Hier konn­te Napo­le­on ent­span­nen und die fan­ta­sti­sche Aus­sicht genießen.

Eine klei­ne Trep­pe führt mich zum höch­sten Punkt der Gar­ten­an­la­ge. Ursprüng­lich ging es hier wohl auch mal in die Stadt, doch heu­te ist das Tor ver­schlos­sen. Die Aus­sicht ist aber sehr schön, sodass sich der Auf­stieg trotz­dem lohnt.

Könn­te man den Weg wei­ter­ge­hen, wür­de er zur Festung For­te Stel­la füh­ren, einer der drei Ver­tei­di­gungs­an­la­gen von Por­tof­er­raio. Und zu die­ser Festung gehört eben jener Leucht­turm, den ich heu­te früh schon vom Schiff sehen konn­te. Der Histo­ri­ker Seba­stia­no Lom­bar­di sag­te einst über den Turm, dass er der schön­te und impo­san­te­ste Leucht­turm im gan­zen Mit­tel­meer­raum sei.

Ich fla­nie­re noch ein biss­chen durch den Gar­ten, bevor ich zurück zur Stra­ße lau­fe, wo mich C. am Auto erwartet.

Nicht nur für mich, auch für Napo­le­on ging die Zeit in der Vil­la Muli­ni schnell vor­bei, denn schon nach zehn Mona­ten ver­ließ er Elba wie­der, nicht auf der Flucht, wie es oft erzählt wird, son­dern gut geplant und mit einem moder­nen Schiff. Am 26. Febru­ar 1815 war bereits zur Abrei­se. Zurück blie­ben sei­ne Mut­ter und sei­ne Schwe­ster. In einem Augen­zeu­gen­be­richt ist dazu vermerkt:

„Napo­le­on lief in den Haupt­sa­lon, von des­sen Fen­ster aus sei­ne Mut­ter und sei­ne Schwe­ster mit Trä­nen in den Augen die Vor­gän­ge beob­ach­te­ten. Eine Umar­mung, ein Kuss und dann schnell weg, damit man sei­ne gro­sse Rüh­rung nicht bemerk­te. Nie­mand atmet. Beglei­tet von sei­nem Gefol­ge und nach­dem er sich mehr­mals zur Palazzina dei Muli­ni umge­dreht hat, von der aus Leti­zia und Pao­li­na ihn mit trä­nen­ge­tränk­ten Taschen­tü­chern ver­ab­schie­de­ten, geht es über die Via Fer­ran­di­ni, die Stu­fen “Pom­po­ne”, die Piaz­za del­le Gran­guar­dia bis zur Por­ta a Mare und von da zur Pun­ta del Gal­lo. Napo­le­on fährt von da ab, wo er ange­kom­men ist. Eine Men­schen­men­ge erwar­tet ihn bei der Einschiffung.”

Der Kai­ser muss­te sich sei­nen Weg zum Schiff gera­de­zu frei­kämp­fen, denn die Leu­te woll­ten ihn gar nicht gehen lassen.

„[…] Man muss Gewalt anwen­den, um einen Gang durch die Men­schen­mas­se zu bil­den, durch den der Kai­ser das Boot errei­chen kann. Alle wol­len ihm die Klei­dung oder die Hän­de küs­sen, ihn berüh­ren und strei­cheln. Es ist die Höl­le los. Und in die­sem Durch­ein­an­der ist kein Wort, kei­ne Stim­me zu hören: nur das Herz­klop­fen von hun­der­ten Herzen.

- Mei­ne Kin­der, ich kom­me zurück; ich ver­traue euch mei­ne Mut­ter und mei­ne Schwe­ster an! -

Das waren Napo­le­ons letz­te Wor­te, als er auf das Zuboot stiegt, das ihn an Bord der Incon­stant brach­te, die zwi­schen dem Molo Gal­lo und dem Tor­re del Mar­tel­lo gean­kert lag.”

Wäre er mal geblie­ben, dann wäre ihm vie­les erspart geblie­ben und er hät­te viel­leicht sogar in Frie­den altern kön­nen. Doch die Geschich­te woll­te es anders und so wis­sen wir heu­te alle, dass Napo­le­on Elba nie wie­der­se­hen soll­te. Statt­des­sen schaff­te er es noch­mals nach Frank­reich und führ­te eine Armee in die Schlacht von Water­loo, die für ihn aber mit der Ver­ban­nung nach St. Hele­na ende­te, die­ses Mal ohne traum­haf­te Vil­la und mil­des Mittelmeerklima.

Bevor wir wei­ter­fah­ren, lau­fen wir noch ein kur­zes Stück bis zum Ende der Stra­ße, wo es auch noch eine schö­ne Aus­sicht gibt, die ich im Bild fest­hal­te. Ger­ne hät­te ich mir auch noch die Festun­gen ange­schaut, doch lei­der bleibt dafür heu­te kei­ne Zeit.

Statt­des­sen führt uns die Fahrt nun aus Por­tof­er­raio hin­aus, denn so ganz fer­tig sind wir mit Napo­le­on und sei­ner Geschich­te auf Elba noch nicht. Davon erzäh­le ich aber erst im zwei­ten Teil die­ses Tagesberichts.

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