Land of the White Nights – Finnland im Sommer

Tag 4: Frei­tag, 09. Juli 2021
Bur­gen­land – Tur­ku nach Tam­pe­re – Teil 1

“Two roads diver­ged in a wood and I – I took the one less tra­ve­led by.” – Robert Frost

Um von Tur­ku nach Tam­pe­re zu fah­ren, kann man die Schnell­stra­ße neh­men. Ich wur­de schon vor­ge­warnt, dass die Strecke lang­wei­lig sei. Und so stellt sich für mich die Fra­ge natür­lich gar nicht wel­chen Weg ich denn nach Tam­pe­re neh­men wer­de, es wird natür­lich nicht die Schnell­stra­ße sein.

Bevor ich abfah­re, will ich mich jedoch noch etwas in Tur­ku umschau­en und so fah­re ich zuerst noch ein­mal zum Dom von Tur­ku, wo ich am Mor­gen auch gleich einen Park­platz finde.

Der Dom von Tur­ku ist die ein­zi­ge mit­tel­al­ter­li­che Kathe­dra­le in Finn­land und seit 1300 der Sitz des Erz­bi­schofs von Tur­ku und die evan­ge­li­sche Haupt­kir­che des Lan­des. Etwa um 1230 wur­de eine erste klei­ne Holz­kir­che erbaut, die bald dar­auf aus Back­stein neu gebaut wur­de. Ihre heu­ti­ge Form erhielt die Kathe­dra­le im 16. Jahr­hun­dert, doch Umbau­ten und Ergän­zun­gen fan­den immer wie­der statt. Bis Anfang des 16. Jahr­hun­derts war die Kathe­dra­le übri­gens katho­lisch, bevor sie im Zuge der Refor­ma­ti­on zu einer evan­ge­li­schen Kir­che geweiht wird.

Der Hoch­al­tar stammt erst aus dem Jahr 1836, denn zuvor wur­de die Kathe­dra­le beim gro­ßen Stadt­brand eben­falls stark in Mit­lei­den­schaft gezo­gen. Das Altar­ge­mäl­de stammt vom schwe­di­schen Maler Fre­de­ric Westin.

Die Fres­ken des Cho­res stam­men vom fin­ni­schen Maler Robert Wil­helm Ekman.

Viel neue­ren Datums ist aller­dings die gro­ße Orgel der Kathe­dra­le, die erst 1980 neu instal­liert wurde.

Als wich­tig­stes reli­giö­ses Gebäu­de Finn­lands ver­fügt der Dom auch über ein klei­nes Muse­um, das im Gegen­teil zu Kir­che einen mode­ra­ten Ein­tritt kostet, der aller­dings auch mit der Muse­um Card begli­chen wer­den kann.

Im Muse­um sind kost­ba­re Reli­qui­en aus der Kir­chen­ge­schich­te, aber auch Model­le frü­he­rer Kir­chen­bau­ten aus­ge­stellt und zeich­nen so ein umfas­sen­des Bild der lan­gen Geschich­te des Gotteshauses.

Nach der Dom­be­sich­ti­gung fah­re ich wei­ter zur 1896 erbau­ten Markt­hal­le. Die Archi­tek­tur stammt noch aus der Zeit der rus­si­schen Herr­schaft in Finn­land, doch die Hal­le wur­de über die Jahr­zehn­te immer wie­der moder­ni­siert, sodass auch heu­te noch Stän­de, Restau­rants und Cafés sowohl Ein­hei­mi­sche als auch Besu­cher anziehen.

Bei einem Bum­mel durch die Markt­hal­le ent­decke ich auch die­ses inter­es­san­te Restau­rant, das wie ein alter Bahn­wa­gon aus­ge­stat­tet ist.

Zwi­schen den Ver­kaufs­stän­den ist auch ein klei­ner Muse­ums­stand zu fin­den, der zeigt, wie die Markt­stän­de frü­her ein­mal aus­ge­se­hen haben.

Wei­ter gehts für mich zum Qwen­sel Haus, in dem sich auch ein histo­ri­sches Apo­the­ken­mu­se­um befin­det. Doch lei­der hat das Muse­um am Mor­gen noch geschlos­sen, sodass mir nur der Blick von außen bleibt. Scha­de, viel­leicht ein ande­res Mal. Zeit zum War­ten habe ich heu­te nicht, denn ich habe noch etwas ande­res vor.

Ein paar Minu­ten Auto­fahrt außer­halb der Innen­stadt liegt die Burg zu Tur­ku. Par­ken ist hier nicht son­der­lich schwer, denn es ist über­all kosten­frei am Stra­ßen­rand mög­lich, wäh­rend ich am Dom noch die Park­uhr füt­tern musste.

Auf Fin­nisch heißt die Burg Tur­un lin­na, auf Schwe­disch Åbo Slott. In die­sem Teil von Finn­land ist das aber nicht unge­wöhn­lich, denn durch die jahr­hun­der­te­lan­ge schwe­di­sche Herr­schaft haben vie­le Orte zwei Namen, so eben auch Turku.

Mit dem Bau des heu­te größ­ten mit­tel­al­ter­li­chen Gebäu­des von Finn­land wur­de bereits 1280 begon­nen. Damals ent­stand die mäch­ti­ge Haupt­burg, die sei­ner­zeit auf einer Insel im Fluss errich­tet wur­de, die durch das Absin­ken des Mee­res­spie­gels längst mit dem Fest­land ver­schmol­zen ist. Die Lage war stra­te­gisch gün­stig und die Burg ließ sich so schlecht ein­neh­men. Gleich­zei­tig konn­te man den See­weg nach Schwe­den über­wa­chen, etwas, das theo­re­tisch heu­te noch mög­lich ist, denn ganz in der Nähe befin­det sich der Fähr­ha­fen von Turku.

Aber zurück zur Burg. Am Modell in der Vor­hal­le sieht man sehr schön die zwei Bau­etap­pen des Gebäu­des. Zuerst wur­de der mit­tel­al­ter­li­che Teil errich­tet, der hier ein grü­nes Dach trägt. Der Vor­bau mit dem brau­nen Dach wur­de erst im 16. Jahr­hun­dert ange­fügt, als die Burg nicht mehr als Ver­tei­di­gungs­an­la­ge, son­dern viel­mehr als Resi­denz dien­te. Die Wohn­räu­me wur­den aus der alten, recht unkom­for­ta­blen Burg in den Neu­bau ver­legt. Aber das sieht man bes­ser auf einem Rundgang.

Den Ein­tritt beglei­che ich wie­der mit der Muse­um Card, die schon jetzt beginnt sich zu ren­tie­ren. Los­zie­hen darf ich auf eige­ne Faust. Hier ist heu­te ganz schön viel los, viel Fami­li­en sind unter­wegs und sogar ein paar erste aus­län­di­sche Besu­cher. Die Burg ist eben eine der Haupt­at­trak­tio­nen der Stadt.

Der Marsch durch das histo­ri­sche Gemäu­er ist dann wirk­lich anstren­gend. Teils sind die Gän­ge eng und es geht über unzäh­li­ge Trep­pen, deren Stu­fen eine doch sehr unge­wöhn­li­che Höhe haben. Wie es sich für eine mit­tel­al­ter­li­che Burg gehört. So zie­he ich von Raum zu Raum und schaue mir alles genau an.

Ein Teil der Haupt­burg wur­de übri­gens bereits im 17. Jahr­hun­dert durch ein Feu­er beschä­digt und spä­ter als Lager sowie Kaser­ne genutzt. Ab 1776 rich­te­te man in einem Teil der Burg gar ein Gefäng­nis ein. Von all die­sen Orten ist heu­te aber nicht mehr viel zu sehen, denn Ende des 19. Jahr­hun­dert zog das histo­ri­sche Muse­um von Tur­ku in das Gemäu­er und es fan­den erste Reno­vie­rungs­ar­bei­ten statt. Die­se wur­den jedoch durch einen rus­si­schen Bom­ben­an­griff 1941 zunich­te­ge­macht. Zwan­zig Jah­re spä­ter konn­te eine erneu­te Restau­rie­rung jedoch wie­der abge­schlos­sen werden.

Im neue­ren Teil der Burg sind dann die herr­schaft­li­chen Räu­me zu sehen, die von den schwe­di­schen Adli­gen, die hier resi­dier­ten, genutzt wur­den. Spä­ter leb­ten hier auch die Gene­ral­gou­ver­neu­re von Finn­land, denn Tur­ku war einst schwe­di­scher Ver­wal­tungs­sitz des Her­zog­tums Finnland.

In der Burg fal­len mir übri­gens zum ersten Mal bewusst die­se Bet­ten auf. Zuerst den­ke ich an Kin­der­bet­ten, doch spä­ter wer­de ich auf­ge­klärt, dass die­se Bet­ten in vie­len fin­ni­schen Häu­sern stan­den. Am Abend zog man sie aus, mor­gens schon man sie zusam­men, um so Platz zu spa­ren. Daher auch das hoch auf­ge­türm­te Bett­zeug. Seit­dem ver­su­che ich her­aus­zu­fin­den, ob das typisch fin­nisch ist oder eher aus Schwe­den kommt, jeden­falls habe ich Bet­ten in genau die­ser Art zuvor noch nir­gends so gese­hen. Mehr Infor­ma­tio­nen konn­te mir da in Finn­land lei­der auch nie­mand geben, da man die­sen Bet­ten­typ dort als völ­lig nor­mal ansieht.

Nach der Besich­ti­gung der Burg wird es für mich aber Zeit wei­ter­zu­zie­hen. Ich habe noch ein gan­zes Stück Weg vor mir. Lei­der hat sich der Him­mel inzwi­schen auch fast kom­plett zuge­zo­gen, sodass es mir nicht schwer­fällt, Tur­ku nun den Rücken zu keh­ren. Was hat­te ich doch für ein Glück mit dem Wet­ter und bin nun auch froh, den gest­ri­gen Tag umge­plant zu haben. Beim Auto­fah­ren ist es egal, ob die Son­ne scheint.

Mein Tages­ziel ist Tam­pe­re, doch ich will nicht den direk­ten Weg fah­ren. Die Strecke soll extrem lang­wei­li­ge sein wur­de mir im Vor­feld schon ver­kün­det und so will ich das gar nicht aus­pro­bie­ren. Statt­des­sen neh­me ich eine der klei­ne­ren Land­stra­ßen und fah­re nach Joki­o­inen, einem klei­nen Ort mit­ten im Nir­gend­wo. Ich muss zuge­ben, die Fahrt hier­her war auch nicht sehr span­nend, aber wenn man zum ersten Mal in einem frem­den Land unter­wegs ist, doch irgend­wie auch interessant.

In Joki­o­inen lege ich einen Zwi­schen­stopp ein, denn ich habe hier einen wei­te­ren Guts­hof ent­deckt, den ich mir ger­ne näher anschau­en will.

Die Geschich­te des Gutes beginnt bereits 1562, doch das heu­ti­ge Her­ren­haus wur­de erst 1794 vom dama­li­gen Besit­zer Ernst Gustaf von Wil­le­brand erbaut. Von Wil­le­brand war von 1791 bis zu sei­nem Tod 1809 Eigen­tü­mer und ent­wickel­te nicht nur das Gut, son­dern lei­te­te auch die Indu­stria­li­sie­rung des gan­zen Ortes ein. Aber zurück zum Haus, das einer der frü­he­sten Ver­tre­ter des Neo­klas­si­zis­mus in Finn­land ist und sei­ner­zeit mit sei­nen über drei­ßig Zim­mern auch eines der größ­ten Gebäu­de des Lan­des war.

Der Nie­der­gang des Gutes begann durch die Ermor­dung des dama­li­gen Besit­zers durch die Rus­sen im Jahr 1917, der kei­ne Erben besaß. Dar­auf­hin gelang­te das Anwe­sen in die Hän­de des fin­ni­schen Staa­tes und wäh­rend der Boden­re­form wur­den vie­le der selbst­stän­di­gen Höfe abge­ris­sen sowie das Gut zer­schla­gen. Das Her­ren­haus selbst beher­berg­te von 1925 bis 1971 eine Tier­zucht­schu­le, wur­de spä­ter noch als Ver­wal­tungs­ge­bäu­de genutzt, stand dann aber lan­ge leer. Ob es inzwi­schen eine neue Nut­zung gibt, konn­te ich nicht erken­nen. Bei mei­nem Besuch sah jeden­falls alles ziem­lich ver­las­sen aus.

Das Haus ist von einem schö­nen eng­li­schen Land­schafts­park umge­ben, in dem ich noch ein wenig her­um­lau­fe und neben­an sind noch eini­ge Gebäu­de des Guts­ho­fes erhal­ten, die aber auch leer zuste­hen scheinen.

Von Wil­le­brand grün­det hier einst Zie­ge­lei, eine Braue­rei sowie eine Bren­ne­rei und er ent­wickel­te neue Metho­den zur Tierzüchtung.

Sehr mar­kant ist auch der alte Getrei­de­spei­cher mit dem Uhren­turm, in dem als ein­zi­gem Gebäu­de irgend­ei­ne klei­ne Aus­stel­lung zu fin­den ist. Was genau konn­te ich aber lei­der nicht fest­stel­len, denn man hat­te anschei­nend gera­de Pau­se oder schon zu. Der Auf­stel­ler half lei­der auch nur in Fin­nisch wei­ter. Anschei­nend ver­ir­ren sich hier kaum Tou­ri­sten her, denn über­all sonst war eigent­lich fast immer alles auch in Eng­lisch ausgeschrieben.

Nach mei­nem klei­nen Rund­gang set­ze ich mei­ne Fahrt nun fort. Nach Tam­pe­re geht es aber noch nicht, denn unter­wegs habe ich mir noch ein paar wei­te­re Zie­le aus­ge­sucht. Von denen erzäh­le ich aber wie­der erst im zwei­ten Teil des Tagesberichtes.

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