Land of the White Nights – Finnland im Sommer

Tag 3: Don­ners­tag, 08. Juli 2021
Jagd nach Son­ne – Hel­sin­ki nach Tur­ku – Teil 1

“The world’s mine oyster, which I with sword will open.” – Wil­liam Shakespeare 

Der Wet­ter­be­richt hat recht behal­ten, als ich heu­te Mor­gen die Vor­hän­ge auf­zie­he, ist es bedeckt und es nie­selt. Alles sieht ein­fach nur grau aus. Zum Glück habe ich umge­plant und gestern einen fan­ta­sti­schen Tag gehabt.

Nach dem Früh­stück packe ich nun ganz schnell mei­ne Sachen und ver­las­se die fin­ni­sche Haupt­stadt. Ich wer­de am Ende der Rei­se noch­mals hier sein und habe dann hof­fent­lich etwas mehr Wet­ter­glück. So jeden­falls habe ich kei­ne Lust mir Hel­sin­ki näher anzu­schau­en. Des­halb geht es für mich nun auf die Auto­bahn. Im Westen soll das Wet­ter bes­ser sein, doch erst ein­mal muss ich durch die dicke Regen­front hin­durch. Es schüt­tet wie aus Kan­nen und ich tref­fe zum ersten Mal auf die Men­ta­li­tät fin­ni­scher Auto­fah­rer, die so gar nicht zu dem ent­spann­ten Fahr­stil passt, den man beson­ders mit Tem­po­li­mit, immer ver­mit­teln will.

Auf der Auto­bahn herrscht offi­zi­ell Tem­po 120, doch zeit­wei­se habe ich das Gefühl, dass ich die Ein­zi­ge bin, die sich annä­hernd dar­an hält. Da wird gerast und gedrän­gelt was das Zeug hält. Irgend­wie kommt mir das hier schlim­mer als auf deut­schen Auto­bah­nen vor, weil ich mich eben an das Tem­po­li­mit hal­ten will und damit alle ande­ren total aus­zu­brem­sen schei­ne. Dabei hieß es doch, dass die Stra­fen hier so hoch sei­en und des­halb alle viel gesit­te­ter fah­ren wür­den. Davon ist heu­te aber nichts zu mer­ken. Erst ein gan­zes Stück außer­halb von Hel­sin­ki wird es ruhi­ger und der Ver­kehr weniger.

Irgend­wann hört es dann zumin­dest auf zu schüt­ten, doch die Son­ne ist noch immer nicht zu sehen. Grau in grau prä­sen­tiert sich der Him­mel als ich mein erstes Ziel des Tages, das Wiuri­la Kar­ta­no, erreiche.

Wiuri­la wur­de bereits im 15. Jahr­hun­dert erwähnt. Damals gehör­te das Anwe­sen einem gewis­sen Magnus Johans­son till Wio­rela und nach des­sen Tod erb­te sei­ne Toch­ter Els­eby. Bis 1787 wur­de Wiuri­la seit­dem immer von Mut­ter zu Toch­ter ver­erbt, über drei­hun­dert Jah­re lang. Im sel­ben Jahr kauf­te Baron, Gene­ral­ma­jor Magnus Wil­helm Arm­felt das Anwe­sen und sein zwei­ter Sohn August Phil­ip war es, der die heu­ti­gen Gebäu­de größ­ten­teils in Auf­trag gab.

Herz­stück des Anwe­sens ist das Her­ren­haus im klas­si­zi­sti­schen Stil, das noch heu­te der Wohn­sitz der Fami­lie ist und des­halb nicht besich­tigt wer­den kann. Nur von der Tor­ein­fahrt kann ich ein Foto des um 1810 erbau­ten Gebäu­des machen.

Anders sieht es bei den Neben­ge­bäu­den aus, denn die sind heu­te für die Öffent­lich­keit zugäng­lich. Einst leb­te das Gut fast völ­lig aut­ark und besaß eine Zie­ge­lei, ein Säge­werk, Müh­len, eine Mol­ke­rei, eine Wein­bren­ne­rei und die älte­ste bekann­te fin­ni­sche Braue­rei. Auch heu­te noch gibt es Land­wirt­schaft, doch gibt es heu­te auch ein Muse­um, Aus­stel­lungs­räu­me, einen Fest­saal und einen Golfplatz.

Ich schaue mich erst ein­mal auf dem Guts­ge­län­de um. Zwi­schen 1835 und 1845 wur­de die­ser Teil des Anwe­sens erbaut und beher­bergt heu­te das Zen­trum der Akti­vi­tä­ten für Besucher.

Das Muse­um zu fin­den ist dann aber doch nicht ganz ein­fach. Im lin­ken Flü­gel soll es sein, doch ich fin­de kei­nen Zugang. Schließ­lich fra­ge ich beim Fest­saal nach, wo ich eine jun­ge Frau tref­fe, die aller­dings nur gebro­chen Eng­lisch spricht. Zum Muse­um fin­de ich aber trotz­dem, denn der Ein­gang befin­det sich im Golf­shop – muss man auch erst­mal drauf kom­men. Nach­dem ich mei­nen Ein­tritt ent­rich­tet habe, kann ich mich nach Her­zens­lust umsehen.

Im ersten Raum dreht sich alles um das Leben auf dem Gut und wie es sich über die Jahr­hun­der­te ver­än­dert hat. Es gibt ein brei­tes Sam­mel­su­ri­um an Erin­ne­rungs­stücken der Familie.

Der zwei­te Raum ist dann voll gestellt mit Kut­schen, die einst das Haupt­trans­port­mit­tel auf dem Gut waren. So gibt es ele­gan­te Gefähr­te und ein­fa­che Zwei­sit­zer, auch Schlit­ten sind dabei.

Als ich aus dem Muse­um kom­me, erle­be ich eine Über­ra­schung, denn die dunk­len Wol­ken haben sich ver­zo­gen und sogar die Son­ne beginnt sich zu zei­gen. So sieht die Welt doch gleich viel freund­li­cher aus und ich mache noch ein paar wei­te­re Ausnahmen.

Ich fah­re nun wei­ter in Rich­tung Westen und mit jedem Kilo­me­ter bes­sert sich das Wet­ter. Kurz vor Tur­ku bie­ge ich aber noch­mals ab, um das Pukki­la Man­or zu besu­chen. Viel habe ich über das ehe­ma­li­ge Gut nicht gefun­den und zuerst fah­re ich sogar fast vor­bei, denn die Anla­ge, die heu­te ein Muse­um ist, ist momen­tan anschei­nend geschlossen.

Es gibt aller­dings einen klei­nen Park­platz, der zwar größ­ten­teils mit Bau­ma­te­ria­li­en voll gestellt ist, aber einen Stell­platz fin­de ich trotz­dem. Und so bege­be ich mich auf eine klei­ne Erkun­dungs­tour, denn auch wenn nie­mand zu sehen ist, so ist doch alles frei zugänglich.

Pukki­la erhielt sei­nen Namen von der Fami­lie Bock, die das Anwe­sen zwi­schen 1540 und 1720 bewirt­schaf­te­te. Das heu­ti­ge Her­ren­haus wur­de für den Vor­sit­zen­den Beru­fungs­rich­ter in Tur­ku, Chri­stoff­er Johan Rap­pe, um 1762 erbaut. Bis 1970 war das Gut pri­vat gewohnt, bevor es für die Öffent­lich­keit geöff­net wurde.

Inzwi­schen ist der Him­mel fast blau und die Son­ne scheint. Das Ther­mo­me­ter klet­tert auch auf über 25 Grad, alles rich­tig gemacht, dass ich zei­tig gen Tur­ku auf­ge­bro­chen bin. Die Stadt las­se ich jedoch zuerst links lie­gen und fah­re noch ein Stück wei­ter bis nach Lou­hi­saa­ri. Zuerst geht die Fahrt noch über die Auto­bahn, dann durch die Außen­be­zir­ke der Stadt und schließ­lich über klei­ne­re Land­stra­ßen. Das letz­te Stück jedoch ist eine recht stau­bi­ge Piste, die noch dazu ziem­lich übles Wasch­brett auf­weist – da ist ja fast ein biss­chen wie in den USA.

Nach rund zehn Minu­ten errei­che ich den Park­platz des Anwe­sens, das heu­te ein Muse­um ist und dem fin­ni­schen Staat gehört. Der Park­platz hier ist gut gefüllt, denn das Wet­ter ist fan­ta­stisch und Lou­hi­saa­ri ein belieb­tes Aus­flugs­ziel. Bevor ich jedoch zum Schloss lau­fe, mache ich ein Foto von die­sem schö­nen Old­ti­mer, des­sen Fah­rer hier anschei­nend auch zu Besuch ist.

Der Park­platz befin­det sich eini­ge hun­dert Meter ent­fernt vom Haupt­ge­bäu­de und so führt mich der Weg nun über die­se schö­ne Allee zum Haupttor.

Über drei­hun­dert Jah­re gehör­te das Anwe­sen der Fami­lie Fle­ming, die 1655 auch das Her­ren­haus im Stil der ita­lie­ni­schen Palast­ar­chi­tek­tur der Spät­re­nais­sance erbau­en ließ. Doch die Fami­lie geriet in finan­zi­el­le Schwie­rig­kei­ten und muss­te Lou­hi­saa­ri ver­kau­fen. Von 1795 bis 1903 gehör­te das Gut der Fami­lie Man­ner­heim, einer finnisch-​schwedischen Adels­fa­mi­lie, deren berühm­te­ster Spross der fin­ni­sche Staats­prä­si­dent Carl Gustav Emil Man­ner­heim war, der 1867 im Schloss gebo­ren wurde.

Jetzt aber genug der Vor­ge­schich­te, es ist an der Zeit das Schloss ein wenig näher zu erkun­den. Zutritt habe ich hier mit der Muse­um Card, die ich bereits am Vor­tag in Ras­e­borg erwor­ben habe und mit dem ich Zutritt zu 72 Muse­en in ganz Finn­land habe. Nach dem Scan­nen der Kar­te kann ich das Haus auf eini­ge Faust erkunden.

Mein Rund­gang beginnt zwar im Erd­ge­schoss, doch zu sehen ist hier noch nicht viel. Ledig­lich ein Raum ist geöff­net, der von Vor­zim­mer bis hin zu Lager­raum und Dienst­bo­ten­zim­mer schon viel Funk­tio­nen hatte.

Rich­tig inter­es­sant sind die obe­ren zwei Stock­wer­ke, in die ich über das Trep­pen­haus gelange.

Das erste Zim­mer, in das ich gelan­ge, ist die Biblio­thek. Graf Carl Erik Man­ner­heim nut­ze den Raum auch als sein Büro und in spä­te­ren Jah­ren war hier sogar mal ein Kin­der­zim­mer und der Spei­se­saal. Heu­te aber ist alles wie­der genau­so zu sehen wie 1830, als die Man­ner­heims das Schloss bewohnten.

Wei­ter geht es in das grü­ne Zim­mer, das einst von Hele­ne Man­ner­heim (1842 bis 1881) bewohnt wurde.

Im Salon sind vor allem die Por­träts vie­ler Fami­li­en­mit­glie­der der Man­ner­heims sehenswert.

Ein beson­ders inter­es­san­ter Raum ist die soge­nann­te Grot­te, die 1830 ent­stand. Hier sind die Wän­de mit exo­ti­schen Wand­bil­dern ver­se­hen, die wahr­schein­lich fran­zö­si­schen Tape­ten nach­emp­fun­den wur­de, die damals modern waren.

Wei­ter geht es in das for­mel­le Wohn­zim­mer, des­sen Wän­de eben­falls mit Por­träts der Fami­lie Man­ner­heim geschmückt sind.

Die­ser Raum mit den bemal­ten Wän­den wird heu­te Groß­mutter­zim­mer genannt und wur­de einst von Eva Wil­hel­mi­na Man­ner­heim bewohnt, der Ehe­frau von Carl Gustaf Mannerheim.

Damit endet der Rund­gang durch die erste Eta­ge und ich ste­he wie­der im Trep­pen­haus, das auf dem Weg in das näch­ste Stock­werk mit einer gewölb­ten Decke ver­se­hen ist.

Herz­stück die­ser Eta­ge ist der gro­ße Saal, der auch der größ­te Raum des gesam­ten Hau­ses ist. Bei sei­ner Errich­tung im 17, Jahr­hun­dert war er wahr­schein­lich der beein­druckend­ste welt­li­che Raum der gesam­ten Gegend.

Beson­ders bemer­kens­wert ist die hand­be­mal­te Decke, die Moti­ve der Spä­ten Renais­sance zeigt, die von fran­zö­si­schen und flä­mi­schen Kup­fer­sti­chen kopiert wur­den. Die Bil­der in der Mit­te erzäh­len aus dem Leben von Her­man Fle­ming, dem Erbau­er von Louhisaari.

Reich ver­zier­te und bemal­te Wän­de sind auch das High­light der Räu­me, die sich rund um den Ball­saal befinden.

Einer der Räu­me, der fast bis ins Detail restau­riert wur­de, ist der Wohn­raum der Schloss­herrn, der in die­ser Art um 1760 ein­ge­rich­tet war, als hier noch die Fami­lie Fle­ming residierte.

Die Decke wird heu­te wie­der von Male­rei­en aus dem 17. Jahr­hun­dert geziert. Die­se muss­ten jedoch auf­wen­dig restau­riert wer­den, nach­dem man sie 1862 bei einer Reno­vie­rung ein­fach mit Far­be über­stri­chen hatte.

Gleich neben­an befin­det sich das blaue Schlaf­zim­mer, das wahr­schein­lich um 1850 auf die­se Wei­se ein­ge­rich­tet wur­de. Es wird gesagt, dass Carl Gustaf Emil Man­ner­heim, der spä­te­re fin­ni­sche Staats­prä­si­dent, hier am 6. Juni 1867 das Licht der Welt erblickte.

Ein wei­te­res High­light ist das gro­ße Schlaf­zim­mer mit dem beein­drucken­den Bett als Mit­tel­punkt. Ein­ge­rich­tet wur­de der Raum aller­dings erst als das Haus ein Muse­um wur­de, auch wenn er schon lan­ge zuvor als Schlaf­zim­mer genutzt wurde.

Nach der Innen­be­sich­ti­gung wid­me ich mich noch dem eng­li­schen Land­schafts­park, der das Schloss umgibt.

Hier ent­decke ich einen klei­nen Pavil­lon, der 1825 von Carl Gustaf Man­ner­heim als sein pri­va­tes Bad erbaut wur­de. Im Gebäu­de gab es sowohl eine Dusche als auch eine Bade­wan­ne aus Kupfer.

Neben dem Schloss und dem Park gibt es auf dem Anwe­sen noch wei­te­re inter­es­san­te Gebäu­de zu ent­decken, doch davon erzäh­le ich im zwei­ten Teil die­ses Reisetages.

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