Land of the White Nights – Finnland im Sommer

Tag 2: Mitt­woch, 07. Juli 2021
Plan­än­de­rung – Hel­sin­ki – Teil 2

“The jour­ney not the arri­val mat­ters.” – T.S. Eliot

Die Fahrt Rich­tung Hel­sin­ki erfolgt für mich nun größ­ten­teils über klei­ne­re Land­stra­ßen. Ich will etwas von der Gegend sehen und nicht nur die gro­ßen Ver­bin­dungs­stra­ßen fah­ren. Das muss ich noch oft genug, ein­fach schon, weil es gar kei­ne ande­ren Rou­ten durch ein­sa­me­re Tei­le des Lan­des gibt. Hier aber habe ich die Wahl, wenn ich im Gegen­zug etwas lang­sa­mer unter­wegs bin.

Und irgend­wie hat das ja auch ein wenig USA Fee­ling, so mit dem gel­ben, dop­pel­ten Mit­tel­strei­fen. Ja, ich habe Ent­zugs­er­schei­nun­gen, nach­dem ich nun schon fast ein­ein­halb Jah­re ich über den gro­ßen Teich durf­te. Lei­der schafft man die gel­ben Mit­tel­strei­fen in Finn­land anschei­nend immer mehr ab, denn ich habe an vie­len Orten gese­hen, dass sie weiß über­tüncht wurden.

Auch das gibt es in Finn­land wie in den USA, nicht geteer­te Stra­ßen, die aber in einem aus­ge­zeich­ne­ten Zustand sind, sodass man sie gut fah­ren kann. Oft wird das auch genutzt, wenn es gro­ße kli­ma­ti­sche Unter­schie­de gibt, die dem Stra­ßen­be­lag zusätz­lich zusetzen.

Am Nach­mit­tag bin ich schließ­lich zurück im Groß­raum Hel­sin­ki, wo ich noch Hvitträsk besu­chen möch­te, ein Haus mit ganz beson­de­rer Geschich­te. Ach ja, auch hier gibt es eine ganz beson­de­re Ver­bin­dung zu den USA, aber dazu spä­ter mehr. Ich zäu­me das Pferd da ein­mal mehr von hin­ten auf und habe mit mei­nen Ent­deckun­gen in den USA begon­nen, bevor ich die jewei­li­ge Ver­bin­dung in die alte Welt geschaf­fen habe.

Aber zurück zum Haus, denn das hat eine inter­es­san­te Vor­ge­schich­te und ist sowas wie eine fin­ni­sche Sti­li­ko­ne. Wir schrei­ben das Jahr 1886, als drei Archi­tek­tur­stu­den­ten in Hel­sin­ki ein Büro grün­den. Ihre Namen: Eliel Saa­r­i­nen, Her­man Gesel­li­us und Armas Lind­gren. Für die drei jun­gen Män­ner könn­te es nicht bes­ser lau­fen, denn kaum haben sie ihr Stu­di­um abge­schlos­sen, bekom­men sie den Auf­trag, den Pavil­lon Finn­lands für die Welt­aus­stel­lung 1900 in Paris zu ent­wer­fen. Und die­ser Ent­wurf star­te­te ihre Kar­rie­re in ganz Europa.

Schon 1901 beschlos­sen die drei zusam­men aufs Land zu zie­hen. Sie kauf­ten sich ein sech­zehn Hekt­ar gro­ßes Grund­stück am See Vitträsk und jeder ent­warf sein eige­nes Traum­haus. Bereits zwei Jah­re spä­ter waren die Arbei­ten abge­schlos­sen und die drei Jung­ar­chi­tek­ten fei­er­ten Ein­zug. Das Haus, das heu­te das Muse­um beher­bergt, gehör­te Eliel Saa­r­i­nen, da er zu einem der bekann­te­sten fin­ni­schen Archi­tek­ten wer­den sollte.

Nach­dem ich Ein­tritt gezahlt habe (die Muse­um Card kann hier genutzt wer­den), kann ich das Muse­um in Eigen­re­gie anschau­en. Nur blaue Pla­stik­über­zie­her müs­sen über die Schu­he, um den kost­ba­ren Boden zu scho­nen. Sonst kann ich mich völ­lig frei bewe­gen und auch foto­gra­fie­ren. So mag ich das.

Ich arbei­te mich vom Erd­ge­schoss über die erste Eta­ge bis unter das Dach vor. Das gesam­te Haus ist eine ein­zi­ge archi­tek­to­ni­sche Ein­heit. Alle Möbel wur­den von Eliel Saa­r­i­nen selbst ent­wor­fen und in der Tisch­le­rei Bomann in Tur­ku angefertigt.

Die Lam­pen sowie ande­re Ver­zie­run­gen stam­men von der Tex­til­künst­le­rin und Bild­haue­rin Loja Saa­r­i­nen, die die Ehe­frau von Eliel Saa­r­i­nen und die Schwe­ster von Her­man Gessel­li­us war.

Im Haus zu sehen sind auch eini­ge pri­va­te Auf­nah­men des Archi­tek­ten von sei­ner Fami­lie. Zusam­men mit sei­ner Frau hat­te Eliel Saa­r­i­nen zwei Kin­der, sei­ne Toch­ter Pip­san (lin­kes Bild) sowie Sohn Eero (Mit­te und rech­tes Bild), der spä­ter selbst ein sehr bekann­ter Archi­tekt wer­den sollte.

Die­ser Raum war das Spiel­zim­mer der 1905 gebo­re­nen Pip­san und ihres fünf Jah­re jün­ge­ren Bru­ders. Die Möbel wur­den von ihrem Vater extra in Kin­der­grö­ße entworfen.

Eben­falls auf die­ser Eta­ge ist das Jugend­zim­mer von Pip­san zu fin­den. Als sie älter wur­de, rich­te­te ihr Eliel Saa­r­i­nen die­ses Zim­mer ein.

Zurück im Erd­ge­schoss ist einer der letz­ten Räu­me, die ich besu­che, das Büro des Archi­tek­ten. Hier arbei­te­te er an vie­len sei­ner Ent­wür­fe. Zu den bekann­te­sten gehö­ren der Haupt­bahn­hof von Hel­sin­ki sowie das Pro­jekt Munksnäs-​Haga, das ein gan­zes Stadt­vier­tel für die Haupt­stadt umfass­te. Im Jahr 1911 wur­de er Bera­ter für die Stadt­pla­nung der est­ni­schen Haupt­stadt Reval und wur­de ein­ge­la­den an der Stadt­pla­nung von Buda­pest mit­zu­wir­ken. Nur ein Jahr spä­ter erreich­te sein Ent­wurf für die Pla­nung der austra­li­schen Haupt­stadt Can­ber­ra den zwei­ten Platz. Auch das Design der 1922 ein­ge­führ­ten fin­ni­schen Mar­ka stamm­te von Eliel Saarinen.

Im Jahr 1923 ver­ließ die Fami­lie Saa­r­i­nen das Anwe­sen, nach­dem sie zuletzt allei­ni­ger Besit­zer gewe­sen war. Her­man Gesel­li­us war bereits 1916 ver­stor­ben und Armas Lind­gren nach Hel­sin­ki zurück­ge­kehrt, nach­dem er Direk­tor der kunst­in­du­stri­el­len Hoch­schu­le und Dozent an der Tech­ni­schen Hoch­schu­le Hel­sin­ki gewor­den war. Die Saa­r­i­nens aber zogen nicht ein­fach weg, sie wan­der­ten in die USA aus, trotz­dem der Ent­wurf des Archi­tek­ten für den Chi­ca­go Tri­bu­ne Tower nur den zwei­ten Platz erlang­te. Aller­dings wur­de er 1929 in Hou­ston ver­wirk­licht. Die Fami­lie aber zog in die Gegend von Chi­ca­go, wo Saa­r­i­nen vie­le wei­te­re Pro­jek­te verwirklichte.

Mein Rund­gang endet schließ­lich in der Küche des Hau­ses, dem Raum, von dem am wenig­sten bekannt ist, wie er einst aus­ge­se­hen hat. Heu­te ist ein Teil als Shop und Kas­se umfunk­tio­niert, ein ande­rer ein­ge­rich­tet, wie er wahr­schein­lich aus­ge­se­hen hat. Fotos gibt es von die­sem Raum aller­dings nicht, sodass die Ein­rich­tung nur auf Erzäh­lun­gen der spä­te­ren Besit­zer basiert.

Wie­der im Innen­hof gehe ich zum Gebäu­de auf der gegen­über­lie­gen­den Sei­te. Die­ses Haus wur­de die schwar­ze Vil­la genannt und von Her­man Gesel­li­us für sich selbst ent­wor­fen. Heu­te wird es als Restau­rant und Café genutzt.

Der Drit­te im Bun­de, Armas Lind­gren, ent­warf für sich den Nord­flü­gel des Haupt­hau­ses, der jedoch 1922 durch einen Brand zer­stört wur­de. Zwar bau­te Saa­r­i­nen ihn spä­ter wie­der auf, doch wird die­ser Teil heu­te für Ver­an­stal­tun­gen genutzt und ist nicht all­ge­mein zugänglich.

Besuch wer­den kann aber das weit­läu­fi­ge Grund­stück, das sich rund um die Häu­ser und am See­ufer erstreckt. In den Wäl­dern nahe dem Grund­stück sind Eliel Saa­r­i­nen, sei­ne Frau Loja sowie Her­man Gesel­li­us nach ihrem Tod übri­gens auch bei­gesetzt worden.

Noch vor sei­nem Tod ver­kauf­te Saa­r­i­nen das Anwe­sen im Jahr 1949 an das Ehe­paar Anel­ma und Rai­ner Vuo­rio, die zunächst hier leb­ten und es spä­ter in eine Stif­tung über­führ­ten, die 1971 hier ein Muse­um eröff­ne­te. Zehn Jah­re spä­ter über­nahm der Staat Hvitträsk, das seit­dem Teil des fin­ni­schen Natio­nal­erbes ist.

Für mich war die­ser Besuch ein ganz beson­de­rer, bin ich doch schon vie­le Male den Ent­wür­fen von Vater und Sohn in den USA begeg­net. Zu den berühm­te­sten Ent­wür­fen von Eero Saa­r­i­nen gehö­ren übri­gens der Gate­way Arch in St. Lou­is, der Haupt­ter­mi­nal des Flug­ha­fens Washing­ton Dul­les sowie der berühm­te TWA Flight Cen­ter am JFK Flug­ha­fen von New York, das kürz­lich zum Hotel umge­baut wur­de und den Archi­tek­ten auf beson­de­re Wei­se wür­digt.

Für mich heißt es nun aber wei­ter fah­ren und auf dem Weg nach Hel­sin­ki will ich mir noch ein wei­te­res Her­ren­haus zumin­dest von außen anschau­en, das Espoon Kar­ta­no. Bereits der schwe­di­sche König Gustav von Vaa­sa hat­te 1555 die Idee, hier an der damals öst­li­chen Gren­ze des Rei­ches einen Her­ren­sitz zu grün­den. Zwi­schen 1557 und 1558 wur­de ein Her­ren­sitz errich­tet. Lei­der kom­me ich an das Her­ren­haus nicht näher her­an, da es sich noch heu­te in Pri­vat­be­sitz befin­det und nur für gebuch­te Ver­an­stal­tun­gen zugäng­lich ist.

Am spä­ten Nach­mit­tag keh­re ich nach Hel­sin­ki zurück, wo ich für heu­te Nacht das Hil­ton Kalastaja­torp­pa gebucht habe. Das Hotel hat eine beweg­te Geschich­te und einst waren hier vie­le Pro­mi­nen­te und auch Staats­gä­ste zu Gast. Das ist auch nicht wei­ter ver­wun­der­lich, wenn man bedenkt, dass sich die ehe­ma­li­ge Prä­si­den­ten­vil­la ganz in der Nähe befin­det. Heu­te wird das Hotel von Hil­ton betrie­ben und scheint auch bei deut­schen Gäste recht beliebt zu sein. Ich bekom­me ein schö­nes Zim­mer mit direk­tem Was­ser­blick und füh­le mich hier sehr wohl.

Lan­ge blei­be ich jedoch nicht auf dem Zim­mer, denn es ist ja noch lan­ge hell und es gibt auch hier in der Gegend viel zu ent­decken. Als erstes beschlie­ße ich Tammi­nie­mi zu besu­chen, besag­tes Wohn­sitz der fin­ni­schen Prä­si­den­ten, der heu­te ein Muse­um ist. Erbaut wur­de das Haus bereits 1904 und war von 1940 bis 1981 Wohn­sitz aller fin­ni­schen Präsidenten.

Heu­te ist das Haus so ein­ge­rich­tet, wie es Urho Kek­ko­nen ver­las­sen hat, der von 1956 bis 1981 fin­ni­scher Staats­prä­si­dent war und damit das am läng­sten amtie­ren­de Staats­ober­haupt in einer demo­kra­tisch wäh­len­den Repu­blik über­haupt. Als Kek­ko­nen 1981 sein Amt aus gesund­heit­li­chen Grün­den auf­gab, wur­de beschlos­sen, dass er wei­ter hier leben kön­ne und für alle nach­fol­gen­den Prä­si­den­ten ein neu­es Haus in Auf­trag gege­ben. Noch fünf Jahr leb­te der Poli­ti­ker auf dem Anwe­sen, bevor er 1986 verstarb.

Das Haus ist heu­te aber nicht nur Prä­si­den­ten­vil­la, son­dern viel­mehr ein Geden­ken an Urho Kek­ko­nen, der Zeit sei­nes Lebens in Finn­land äußerst beliebt war und von vie­len Fin­nen noch heu­te ver­ehrt wird. Ihm und sei­ner Poli­tik wird der enor­me sozia­le und wirt­schaft­li­che Auf­stieg Finn­lands zuge­schrie­ben und er brach­te dem Land Wohl­stand und Sta­bi­li­tät. Sei­ne Ver­dien­ste stan­den so sehr außer Zwei­fel, dass er immer wie­der­ge­wählt wur­de, zuletzt 1978 mit 259 von 300 Stim­men über alle Par­tei­en hinweg.

An pro­mi­nen­ter Stel­le im Haus sind dann auch die Bil­der des ehe­ma­li­gen Staats­prä­si­den­ten und sei­ner Frau zu fin­den, die hier über drei­ßig Jah­re leb­ten und auch Staats­gä­ste aus aller Welt emp­fin­gen. Berühmt ist die fin­ni­sche Sau­na des Hau­ses, in der vie­le poli­ti­sche Gesprä­che statt­ge­fun­den haben sollen.

Wäh­rend im Erd­ge­schoss das Büro sowie die eher for­mel­len Räu­me des Hau­ses zu fin­den sind, lie­gen im Ober­ge­schoss die Pri­vat­ge­mä­cher, in denen der Prä­si­dent auch mal ganz ein­fach Fern­se­hen schaute.

Das pri­va­te Schlaf­zim­mer von Urho Kek­ko­nen ist ein eher schlich­ter Raum mit einem schma­len Klapp­bett, gar nicht so wie man sich das Schlaf­zim­mer eines Staats­prä­si­den­ten vor­stellt. Eher sieht es wie ein Jugend­zim­mer aus.

Der letz­te Raum, den ich besich­ti­ge, ist auch in die­sem Haus die Küche. Hier wur­den auch oft die Mahl­zei­ten für Staats­gä­ste aus aller Welt zube­rei­tet. Für die dama­li­ge Zeit war der Raum sehr modern aus­ge­stat­tet und ver­füg­te über alle elek­tri­schen Küchen­ge­rä­te, die man so gebrau­chen könnte.

Umge­ben ist die Prä­si­den­ten­vil­la von einem klei­nen Gar­ten, in dem sich noch ein Pavil­lon auf einem klei­nen Hügel befindet.

Zum Abschluss des Tages wer­fe ich noch einen kur­zen Blick auf das Mei­lah­ti Kar­ta­no, ein Her­ren­haus, das sich ganz in der Nähe der Prä­si­den­ten­vil­la befin­det. Das heu­ti­ge Gebäu­de wur­de zwar erst zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts erbaut, die Geschich­te des Anwe­sens reicht jedoch bis in das 15. Jahr­hun­dert zurück. Zuerst gehör­te es ver­schie­de­nen schwe­di­schen Adli­gen, spä­ter ging es in den Besitz der rus­si­schen Ari­sto­kra­ten über.

Im Jahr 1810 zog der dama­li­ge rus­si­sche Gene­ral­gou­ver­neur des Groß­her­zog­tums Finn­land, Graf Fabi­an Gott­hard von Stein­heil in das Gebäu­de. Bekannt wur­de das Her­ren­haus für die rau­schen­den Feste, die die Adli­gen hier im 19. Jahr­hun­dert gaben. Seit 1967 gehört das Haus der Stadt Hel­sin­ki und ich muss sagen, dass es sich der­zeit in einem recht deso­la­ten Zustand befin­det. Da bliebt wirk­lich nur zu hof­fen, dass es irgend­wann in naher Zukunft eine Reno­vie­rung gibt, die die­se inter­es­san­te Vil­la wie­der erstrah­len lässt.

Auf dem Weg zurück zum Hotel sehe ich noch Tammi­nie­mi im Abend­licht leuch­ten, sodass ich noch einen kur­zen Foto­stopp einlege.

Dann geht es aber zurück ins Hotel, wo ich den rest­li­chen Abend auf mei­nem Zim­mer mit der tol­len Aus­sicht verbringe.

Ich muss noch ein wenig den mor­gi­gen Tag vor­be­rei­ten, denn auf­grund des kurz­fri­sti­gen Abflugs habe ich die Tage nur grob durch­ge­plant und nach der heu­ti­gen Ände­rung muss ich nun auch den mor­gi­gen Tag noch etwas umge­stal­ten. Es bleibt span­nend, ob auch das Wet­ter mit­spielt und sich die Mühe gelohnt hat.

Kilo­me­ter: 255
Wet­ter: hei­ter bis wol­kig, 28 Grad
Hotel: Hil­ton Hel­sin­ki Kalastajatorppa

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