Tag 7: Montag, 12. Juli 2021
Von Russen und Schweden – Imatra nach Helsinki – Teil 1
“Exploration is a wonderful way to open our eyes to the world, and to truly see that impossible is just a word.” – Richard Branson
Als ich aufwache, steht die Sonne schon wieder hoch über dem Horizont, aber das bin ich ja inzwischen gewohnt. Der Blick aus dem Fenster zeigt heute einen ganz ruhigen Fluss und auch von den tosenden Stromschnellen des gestrigen Abends ist nichts mehr zu hören. Schade eigentlich, aber so fällt der Abschied auch leichter, denn die Hauptattraktion wurde im wahrsten Sinne des Wortes einfach abgeschaltet.
Ganz auf direktem Weg verlasse ich Imatra dann aber nicht. Ich bin ja recht neugierig und die Lage so dicht an der russischen Grenze hat mich dann schon fasziniert. Es passiert ja nicht jeden Tag, dass man an heutzutage mal eben an eine EU und NATO Außengrenze kommt, die einfach so mitten durch die Walachei führt. Das will ich mir dann doch mal etwas näher ansehen.
So fahre ich auf einigen kleinen Nebenstrecken so weit in Richtung Grenze, wie es eben geht. Diese Straße führt direkt an der russischen Grenze entlang oder besser gesagt, am Sperrgebiet, denn die Grenze erinnert mich hier schon ein bisschen an das, was einst mitten durch Deutschland verlief, nur eben Scharfschützen, hoffe ich zumindest. Irgendwie gruselig.
Überall stehen Warnschilder gleich neben der Straße. Und ab und zu passiere ich kleine Häuser, in denen Grenzbeamte sitzen und mich ganz genau im Auge behalten. Das ist hier irgendwie heftiger als an der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Und ich dachte immer, dass es dort eine krasse Grenze gibt. Aber irgendwie ist es gefühlt hier ganz anders.
Irgendwo da drüben bei den Bäumen fängt dann wirklich Russland an. Einmal kann ich sogar ein paar Schornsteine sehen, ansonsten ist der genaue Grenzverlauf aber kaum auszumachen.
Ein Stück weiter wieder Warnschilder, die in fünf Sprachen verfasst sind. Darunter Skizzen, die zeigen, dass man die Grenzzone nicht betreten darf. Heftig, wirklich heftig. An die eigentliche Grenze kommt man gar nicht es ran, es sei denn, man hat eine Sondererlaubnis.
Ein Stück weiter stoße ich wieder auf eine große Straße. Die 13 führt hier direkt zur Grenze und weiter nach St. Petersburg. Das ist übrigens mit 210 Kilometern näher an Imatra als das 230 Kilometer entfernte Helsinki. Die bekannte russische Zarenstadt ist auch der Grund, warum diese Region schon historisch so oft umkämpft war und viele Finnen aus einigen Gebieten vertrieben wurden, die heute zu Russland gehören. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ich fahre bis zur Grenze, die hier mit mehreren Schlagbäumen gesichert ist. Normalerweise ist hier wohl recht viel los, höre ich, doch momentan ist es gespenstig still, denn Russland ist Virusvariantengebiet und die Ein- und Ausreise extrem eingeschränkt. Nur ein einziges Auto sehe ich vorbeifahren als ich hier bin. Schade ist das ja schon, denn normalerweise kann man wohl in die grenznahen Gebiete sogar visumfrei einreisen.
Nun ja, ich kann es eh nicht ändern und so drehe ich halt wieder um und setze meine Fahrt nun auf der Schnellstraße gen Süden fort. Mein Ziel ist heute Helsinki, das bekanntlich weiter weg ist, als St. Petersburg und unterwegs will ich auch noch so einiges anschauen.
Meinen nächsten Stopp lege ich erst in Hamina ein. Ich muss tanken und nachdem ich das erledigt habe, schaue ich noch kurz am recht fotogenen Rathaus der Stadt vorbei.
Hamina hat einst auch eine große Festung besessen, doch von der sind hier nur ein paar recht enttäuschende und ungepflegte Reste zu sehen.
So fahre ich bald weiter und erreiche gegen Mittag das Hauptziel des heutigen Tages, die Fischerhütte des russischen Zaren. Die befindet sich bei Kotka, einer Stadt am finnischen Meerbusen. Ich bin nun also wieder ganz im Süden von Finnland angelangt.
Mein Auto stelle ich auf einem großen Parkplatz ab und dann geht es einen kurzen Fußweg entlang zum Eingang, wo ich zuerst auf ein ehemaliges Haus des Hausmeisters der Lodge stoße, in dem heute ein Café zu finden ist.
Von hier geht es durch ein großes Eingangstor und über eine Brücke auf eine kleine Insel, auf der sich die Fischerhütte des Zaren befindet.
Und das ist die, die bescheidene Unterkunft der Zarenfamilie hier im Süden von Finnland. Langinkoski heißt sie offiziell, wie die Stromschnellen des Flusses Kymi, der die Insel umschließt und noch heute bei Anglern beliebt ist.
Zar Alexander III. (oben links, mit weißer Mütze) und seine Frau hörten von den guten Fischgründen der Gegend und so kamen sie im Jahr 1880 zu ersten Mal in diese Gegend. Ihnen gefiel es hier so gut, dass sie versprachen zurückzukehren. Einige Jahre später gab das Großherzogtum Finnland deshalb den Auftrag, ein Haus für den Zaren zu errichten. Der Bau begann 1888 und das kaiserliche Paar war so interessiert an dem Bau, dass es persönlich vorbeikam, um sich die Fortschritte anzuschauen.
Lange konnte das Paar die Freuden der Lodge jedoch nicht genießen, denn der Zar starb bereits 1894 mit 49 Jahren an einer Nierenerkrankung. Ein paar Jahre kamen sie jedoch nach Finnland und brachten royalen Glanz in die Region. Bei den Finnen waren die Besucher übrigens sehr beliebt, denn sie kamen hier weder mit Pomp noch Glanz und Gloria an, sondern lebten ein eher einfaches Leben.
Und bescheiden ist die Unterkunft wahrlich, wenn man bedenkt, in welcher Pracht die Familie in St. Petersburg lebte. Diese Pracht kam aber auch mit einem strengen Hofprotokoll und genau dieses konnte man hier in Finnland komplett abschütteln.
Was allerdings zu jener Zeit großer Luxus war, war die Innentoilette, die in das Haus eingebaut wurde.
Die Zarin Maria Feodorovna (geborene Dagmar von Dänemark) liebte es hier in der Küche selbst zu kochen. Manchmal auch den Fisch, den ihr Mann gefangen hatte. Am Hof wäre so etwas unmöglich gewesen. In St. Petersburger Archiven wurden sogar Bilder gefunden, wie die Zarin hier selbst in der Küche arbeitet.
Im Obergeschoss des Hauses waren die Schlafräume untergebracht, die ebenfalls nicht sehr pompös ausgestattet waren.
In diesem Zimmer schliefen der Zar und die Zarin. Es ist der wohl noch am meisten dekorierte und komfortabelste Raum im ganzen Haus.
Die Kinder waren in Mehrbettzimmern untergebracht. Ebenso eventuelle Gäste, falls diese nicht anderswo übernachteten.
Der Star der Gegend sollte eben auch nicht das Haus, sondern die Landschaft sein, die mit den dichten Wäldern und den Stromschnellen wirklich schön ist.
So lädt die kleine Insel zu einem Rundgang geradezu ein. Dabei komme ich auch an der eigentlichen Fischerhütte vorbei. Drei russische Fischer lebten hier von Mai bis Oktober und fischten Lachse, besonders wenn der Zar anwesend war. Es kam auch oft vor, dass Alexander die Fischer unterstützte.
Die kleine orthodoxe Kapelle ist sogar viel älter als die anderen Gebäude und wurde schon Anfang des 19. Jahrhunderts an dieser Stelle errichtet, um die Fischgründe zu segnen. Als die zaristische Familie hier Ferien machten, wurde die inzwischen ziemlich verfallene Kapelle für die royalen Besucher restauriert.
Das Gelände der Zarenfamilie besteht eigentlich sogar aus mehr als einer Insel. Die einzelnen Landmassen sind durch kleine Brücken verbunden und können so schön erkundet werden.
Außerhalb der Insel mit der Zarenhütte führt ein weiterer Wanderweg zu historisch interessanten Orten. Während der Zutritt zur Insel kostenpflichtig ist (die Museums Card gilt), ist dieser Teil kostenlos zu besichtigen.
Da der Zar unter der lokalen Bevölkerung sehr beliebt war, errichte man zwei Jahre nach seinem Tod eine Gedenkplakette für ihn, die noch heute hier zu finden ist.
Nur ein kleines Stück weiter befindet sich das Dock, an dem die Familie bei Besuchen ankam. Damals war das hier eine sehr ländliche Gegend, sodass man mit der kaiserlichen Jacht zuerst nach Kotka fuhr, um dann mit einem kleineren Boot bis an diesen Ort zu kommen.
Heute gibt es hier auch sehr gut ausgebaute Straßen und eine Brücke. Das alles wurde jedoch erst viel später gebaut.
Ich folge dem Weg weiter, der sich durch den Wald und immer am Ufer des Flusses entlang windet.
So gelange ich zum kaiserlichen Angelplatz. An diesem Stein ging der Zar gerne auf Fischfang und er wird erzählt, dass er selbst die Holzleiter baute, die auf den großen Findling führte. Noch heute sind einige Halterungen im Stein zu erkennen.
Damit endet auch dieser kleine Rundgang und ich kehre auf dem Wanderweg zurück zum Parkplatz.
Meine Fahrt geht nun weiter gen Helsinki. Für unterwegs habe ich mir noch einige Ziele herausgesucht und ich bin schon gespannt, was mich erwartet, denn es war nicht immer leicht, aktuelle Informationen zu einigen Orten online zu finden. So hat der Nachmittag dann ein wenig etwas von einer Entdeckungsreise. Doch davon erzähle ich im zweiten Kapitel des Tagesberichtes.