Land of the White Nights – Finnland im Sommer

Tag 6: Sonn­tag, 11. Juli 2021
Der Osten ruft – Jyvä­s­ky­lä nach Imatra – Teil 2

“So much of who we are is whe­re we have been.” – Wil­liam Langewiesche

Ich bin doch schnel­ler vor­an­ge­kom­men als ich gedacht habe. Da hät­te ich wohl doch noch einen Stopp an den Seen ein­le­gen kön­nen. Nun ist es aber zu spät dafür. Statt­des­sen beschlie­ße ich, noch nicht nach Imatra zu fah­ren und noch einen Aus­flug ins nahe Lap­pe­en­ran­ta zu machen, der zwar etwas kurz aus­fällt, aber das hat­ten wir ja schon, alles sehen geht irgend­wie nicht in einer Woche.

So fah­re ich ins Zen­trum der Stadt und par­ke das Auto in einer Sei­ten­stra­ße. Von hier geht es zu Fuß zum Wol­koff Hou­se. Das ehe­ma­li­ge Wohn- und Geschäfts­haus ist eines der älte­sten noch erhal­te­nen Holz­ge­bäu­de der Stadt. Das Haus wur­de in Etap­pen zwi­schen 1826 und 1905 erbaut.

Ivan Wol­koff, nach­dem das Haus heu­te benannt ist, kauf­te das Gebäu­de aller­dings erst 1872. Zuvor ging es durch so eini­ge Hän­de. Die Wol­koffs aber präg­ten das Gebäu­de am mei­sten. Vier Gene­ra­tio­nen wohn­ten bis 1983 in dem Gebäu­de, das heu­te ein Muse­um ist und auf geführ­ten Tou­ren besich­tigt wer­den kann. Als ich ankom­me, bin ich der ein­zi­ge Gast, der eine eng­li­sche Füh­rung möch­te und so bekom­me ich die­se, eben ganz privat.

Das Haus ist noch immer so ein­ge­rich­tet, wie es die Fami­lie Wol­koff hin­ter­las­sen hat. Die Fami­lie hat einst ganz klein begon­nen. Wol­koff selbst war einst Leib­ei­ge­ner eines Gärt­ners und schaff­te es sich zu einem respek­tier­ten Geschäfts­mann hoch­zu­ar­bei­ten. Sei­ne Nach­fah­ren tra­ten in sei­ne Fuß­stap­fen und kamen zu Wohl­stand, der auch im Haus zu erken­nen ist.

Die Wol­koffs spra­chen übri­gens nicht nur rus­sisch und fin­nisch, son­dern auch Fran­zö­sisch oder eben Deutsch. Über­all im Haus kann ich Hin­wei­se dar­auf ent­decken. So wur­de auch beson­ders mit den Deutsch­bal­ten Han­del getrie­ben. Beim genaue­ren Hin­se­hen ent­decke ich auch Gegen­stän­de aus Königs­berg sowie rei­hen­wei­se deut­sche Bücher.

Beim Gang durch das Haus kann ich auch sehr schön die ver­schie­de­nen Bau­etap­pen erken­nen. Der Teil des Hau­ses mit dem Ess­zim­mer wur­de erst 1905 im Jugend­stil fertiggestellt.

Der letz­te Raum der Rund­gangs ist dann die Küche, die über die Jah­re am mei­sten moder­ni­siert wur­de. Natür­lich woll­te man auch moder­ne Gerä­te haben, die aber heu­te auch schon wie­der Muse­ums­stücke sind.

Nach die­ser wirk­lich schö­nen Besich­ti­gung, die ich nur emp­feh­len kann, fah­re ich wei­ter zur Festung, die eine der Haupt­at­trak­tio­nen der Stadt ist. Zwar wur­de die Stadt bereits unter den Schwe­den gegrün­det, doch die mei­sten heu­te erhal­te­nen Gebäu­de stam­men aus der Zeit, als hier Russ­land das Sagen hat­te. Als bedeu­ten­der Han­dels­po­sten unter den Schwe­den und den Rus­sen muss­te die Stadt auch ent­spre­chend geschützt werden.

Heu­te steht ein gro­ßer Teil der rie­si­gen Festung unter Denk­mal­schutz und in eini­gen Gebäu­den sind Muse­en, Geschäf­te oder Restau­rants untergebracht.

Ich mache zunächst einen klei­nen Rund­gang und schaue mir eini­ge der histo­ri­schen Gebäu­de an. Es ist brü­tend heiß in der Son­ne, etwas, dass man in Finn­land so gar nicht erwar­tet, im Lan­des­in­ne­ren im Som­mer aber durch­aus vor­kom­men kann, wie eben auch die extre­me Käl­te im Win­ter. Mir macht das zum Glück nicht so viel aus und ich dre­he eine schö­ne Runde.

Von einer der Festungs­mau­ern habe ich einen schö­nen Blick auf den Hafen von Lap­pe­en­ran­ta, in dem Aus­flü­ge in das Sai­maa Seen­ge­biet und nor­ma­ler­wei­se sogar nach Wyborg in Russ­land star­ten. Im Som­mer 2021 war der Fahr­plan aller­dings recht ausgedünnt.

Ich ent­schlie­ße mich, zumin­dest eines der Muse­en auf der Festungs­ge­län­de zu besu­chen und mei­ne Wahl fällt auf das Caval­ry Muse­um, ganz ein­fach, weil ich sowie­so gera­de gleich neben dem Muse­um par­ke. Ein­tritt, war ja fast schon klar, ist wie­der mit mei­ner Muse­um Card mög­lich. Ein­fach Klasse.

Das klei­ne Muse­um ist im älte­sten Haus von Lap­pe­en­ran­ta zu fin­den. Im Jahr 1772 wur­de es von den Rus­sen als Wach­po­sten erbaut und seit 1973 dient es als Muse­um. Erzählt wird hier die Geschich­te der fin­ni­schen Kaval­le­rie vom 16. Jahr­hun­dert bis in die Gegenwart.

Auf einer Kar­te kann ich sehen, wo die Fin­nen unter schwe­di­scher Herr­schaft über­all gekämpft haben. Bis­her wuss­te ich gar nicht, dass das so ziem­lich halb Euro­pa gewe­sen ist.

Inter­es­sant sind auch die deutsch­spra­chi­gen Doku­men­te und Kar­ten, die hier zu fin­den sind.

Da Pfer­de bei der Kaval­le­rie von jeher eine gro­ße Bedeu­tung spiel­ten, ist den Tie­ren auch eine klei­ne Aus­stel­lung gewidmet.

Es ist schon recht spät als ich das Muse­um ver­las­se und ich ent­schei­de mich schwe­ren Her­zens wei­ter­zu­fah­ren. Inzwi­schen hat sowie­so schon alles geschlos­sen, auch wenn die Son­ne noch immer hoch am Him­mel steht.

In einer guten hal­ben Stun­de errei­che ich schließ­lich Imatra, wo ich für heu­te ein ganz beson­de­res Hotel gebucht habe. Es ist bekannt als das Schloss von Imatra und wur­de 1903 für wohl­ha­ben­de rus­si­sche Tou­ri­sten aus St. Peters­burg erbaut, die hier die Som­mer­fri­sche genie­ßen und die Strom­schnel­len besich­ti­gen wollten.

Von außen sieht das Hotel toll aus und auch die öffent­li­chen Räu­me sind wirk­lich schön. Die Lage ist auch erste Sah­ne, sodass ich mir erst ein­mal recht wohlfühle.

Mit viel Lie­be zum Detail wur­den auch die Flu­re reno­viert. Das Design an den Wän­den wur­de 1903 ori­gi­nal so ange­bracht und wäh­rend der Reno­vie­rung reproduziert.

So ist es umso mehr ein Schock, als ich das Zim­mer betre­te. Das hat man beim Reno­vie­ren anschei­nend ver­ges­sen und der Preis, den man dafür auf­ruft, der ist abso­lut nicht gerecht­fer­tigt. Scan­dic Hotels als gro­ße Ket­te, soll­te hier wirk­lich mal inve­stie­ren. Aber anschei­nend wird man die Zim­mer ja auch so los, denn die Lage ist ein­zig­ar­tig und die Aus­wahl in die­ser Gegend auch recht bescheiden.

Es ist gar nicht so sehr die Grö­ße, die mich stört, son­dern mehr die Aus­stat­tung. Das schma­le Bett ist eine ech­te Zumu­tung, mit dem dün­nen Top­per und einem win­zi­gen Kissen.

Noch viel schlim­mer, es ist wirk­lich brü­tend heiß. Das Hotel ver­fügt übri­gens auch über einen Anbau, aber selbst dort soll es nicht anders sein. Von Kli­ma­an­la­gen hat man hier noch nichts gehört, wie es scheint. Auch das Bad hät­te drin­gend mal eine Reno­vie­rung nötig, vor allem die Dusche.

Und zu guter Letzt tref­fe ich dann auf Dut­zen­de toter Insek­ten, als ich ver­su­che, das Fen­ster zu öff­nen. Ganz ehr­lich, ich kann ja ver­ste­hen, dass die­se Vie­cher im Som­mer in Finn­land zahl­reich unter­wegs sind, aber ab und zu könn­te das Rei­ni­gungs­per­so­nal die doch auch mal ent­fer­nen oder ist das zu viel verlangt?

Nun ja, ich bin ja nicht hier, um viel Zeit auf dem Zim­mer zu ver­brin­gen. Und die Lage ist wirk­lich geni­al. Noch bes­ser kann man in Imatra nicht woh­nen. Selbst wenn ich das Fen­ster öff­ne, kann ich schon die Strom­schnel­len sehen und hören.

Die Strom­schnel­len sind, wie schon erwähnt, die größ­te Attrak­ti­on des Ortes. Das Gan­ze hat nur einen Haken, die Strom­schnel­len sind künst­lich und heu­te nur noch zu bestimm­ten Zei­ten zu erleben.

Eigent­lich, ja eigent­lich floss hier mal der Fluss Vuok­si durch eine rund fünf­hun­dert Meter lan­ge und acht­zehn Meter brei­te Schlucht. Und am Ende der Schlucht gab es einen Wasserfall.

Gibt es alles auch heu­te noch, aber das sieht seit 1929 so aus. Damals wur­de hier damit begon­nen, mit Was­ser Strom zu erzeu­gen. Und hier kom­men wir zu dem Pro­blem. Heu­te wird also das gesam­te Was­ser des Flus­ses auf­ge­staut und durch ein moder­nes Kraft­werk gelei­tet. Damit die Tou­ri­sten den berühm­ten Imtra­was­ser­fall aber noch erle­ben kön­nen, wer­den zu bestimm­ten Zei­ten die Schleu­sen geöff­net und dann ist es fast wie früher.

Bevor ich mir den Was­ser­fall und die Schlucht aber etwas genau­er anschaue, treibt mich der Hun­ger erst ein­mal ins Stadt­zen­trum. Hier ist es aller­dings recht trost­los, denn die klei­ne Stadt lebt haupt­säch­lich von ein wenig Indu­strie, den Tou­ri­sten und dem fin­ni­schen Grenz­schutz, der hier eine gro­ße Basis hat. Im Park neben dem Hotel ent­decke ich einen schö­nen Springbrunnen …

… und gleich gegen­über einen Ita­lie­ner, den ich in Erman­ge­lung von Alter­na­ti­ven in der Umge­bung zum Abend­essen ansteue­re. Zumin­dest kann ich hier auf der Ter­ras­se sit­zen und das tol­le Wet­ter genießen.

Frisch gestärkt gehe ich zurück zum Imatra­was­ser­fall oder dem, was davon noch übrig ist. Ich habe zumin­dest Glück, dass die Schleu­sen am heu­ti­gen Sonn­tag sehr lan­ge geöff­net sind und man so wenig­stens erah­nen kann, wie es einst gewe­sen sein muss.

Wäh­rend das Was­ser sich tosend die Stau­mau­er her­un­ter­wälzt, ist dahin­ter abso­lu­te Ruhe. Hier erstreckt sich heu­te der Stau­see, des­sen Was­ser sogar Hel­sin­ki und Tur­ku noch mit Ener­gie versorgt.

An der Stau­mau­er schäumt der­wei­len die Gischt und ich lau­fe nun den Weg direkt am Was­ser ent­lang. Hier ist es ange­nehm kühl, aber das Geräusch des Was­sers ist ohrenbetäubend.

Den besten Blick auf das tosen­de Was­ser hat man übri­gens von der Stra­ßen­brücke, die den Vuo­ski über­quert. Des­halb sam­meln sich hier auch die mei­sten Besu­cher, wenn die Schleu­sen geöff­net werden.

Wer ein Stück über die Brücke wei­ter­läuft, der lan­det dann beim moder­nen Was­ser­kraft­werk, mit dem heu­te die Ener­gie erzeugt wird. Hier ist es ganz still und das Was­ser plät­schert nur so vor sich hin. Trotz­dem wer­den unge­heu­re Men­gen an Ener­gie gewon­nen. Durch sie­ben Getrie­ben lau­fen hier neun­hun­dert Kubik­me­ter Was­ser in der Sekun­de und es wer­den jähr­lich eine Mil­li­ar­de Kilo­watt­stun­den erzeugt.

Ich aber inter­es­sie­re mich dann doch mehr für die Geschich­te. Und die wird ein Stück­chen fluss­ab­wärts wei­ter­erzählt. Hier, gleich neben mei­nem Hotel führt eine Trep­pe ein Stück weit hin­un­ter in die Schlucht und zu einem Wan­der­weg direkt am Wasser.

Auf die­sen Pfa­den sind Tou­ri­sten schon seit Jahr­hun­der­ten unter­wegs, eine der Ersten war Zarin Katha­ri­na die Gro­ße, die 1772 nach Imatra kam, um die Was­ser­fäl­le zu besuchen.

Von der Zarin selbst gibt es zwar nichts zu sehen, doch ande­re Besu­cher haben in den Stei­nen am Weges­rand ihre Namen und klei­ne Nach­rich­ten hin­ter­las­sen. Histo­ri­sche Graf­fi­ti sozusagen.

Vie­le der Inschrif­ten sind, wie soll­te es anders sein, in Rus­sisch. Doch die berühm­te­ste Signa­tur ist eine ande­re. Kai­ser Dom Pedro II. aus Bra­si­li­en ver­ewig­te sich hier wäh­rend sei­nes Besuchs in Imatra.

Ich fol­ge dem Wan­der­weg noch ein Stück­chen wei­ter, bevor ich über eine der Trep­pen die Schlucht wie­der ver­las­se und zurück zu Hotel gehe.

Auch wenn es mal wie­der nicht so aus­sieht, es ist schon nach 22 Uhr als ich zurück am Hotel bin. Lang­sam wird es doch Zeit für etwas Bett­ru­he, nach die­sem lan­gen und erleb­nis­rei­chen Tag. Mor­gen liegt auch noch ein recht wei­tes Stück Strecke vor mir und dafür möch­te ich auch aus­ge­ruht sein. Zum Glück macht mir die Hit­ze im Zim­mer auch nicht ganz so viel aus. Wer da emp­find­lich ist, hät­te in die­ser Nacht bestimmt kein Auge zugetan.

Kilo­me­ter: 420
Wet­ter: hei­ter bis wol­kig, 30 Grad
Hotel: Scan­dic Imatran Valtionhotelli

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