Tag 5: Samstag, 10. Juli 2021
Die Nacht zum Tage machen – Tampere nach Jyväskylä – Teil 2
„In Finland and the U.K. you can’t predict the weather.” – Saara Aalto
Jyväskylä zu besuchen, hatte für mich zwei Gründe. Erstens ist die Stadt Partnergemeinde von Potsdam und zweitens berühmt für seine Bauwerke des finnischen Architekten Alvar Aalto, mit dem ich durch ein Interview von Inken von finntastic.de erstmals näher in Berührung gekommen bin. Und so fahre ich aus einer Laune heraus an der Stadt vorbei auf die kleine Insel Säynätsalo, wo sich eines der berühmtesten Bauwerke des finnischen Architekten befindet.
Das Rathaus von Säynätsalo finde ich dann auch ganz schnell, denn es ist gut ausgeschildert. Leider bin ich ziemlich spät dran, sodass ich davon ausgehe, nur noch von außen schauen zu können. Wenigstens setzt sich jetzt endgültig die Sonne gegen die Wolken durch und taucht das Gebäude in ein schönes Licht.
Bereits 1944 wurde Aalto damit beauftragt, auf der Insel eine kleine Siedlung zu entwerfen. Ein Verwaltungsgebäude sollte erst später entstehen. Dazu gab es einen Wettbewerb, den Aalto 1949 gewonnen hat. Und so ist innerhalb von zwei Jahren dieses Bauwerk entstanden, das zu den wichtigsten Bauten Aaltos zählt und seine „rote Phase” einläutete, in der der Architekt vorzugsweise rote Ziegel nutzte.
Das Gebäude wirkt von außen wie eine Burg und hat in der Mitte einen erhöhten Innenhof. Es sollte nicht nur die Stadtverwaltung beherbergen, sondern auch städtischen Mitarbeitern eine Wohnung bieten und sogar Geschäfte sollten hier angesiedelt sein. Heute ist vieles davon noch erhalten, einiges wurde aber auch verändert, als mehr Räume für die Verwaltung benötigt wurden.
Ich laufe also um das Gebäude und schaue mir auch den Innenhof an. Die Tür zum Gebäude ist verschlossen. Als ich jedoch so meine Bilder mache, spricht mich plötzlich ein Herr an und fragt, ob ich Interesse hätte, das Rathaus auch von innen zu sehen. Wie jetzt? Ich denke, es ist schon zu? Ja, eigentlich schon, meint er, aber er warte noch auf zwei Gäste und hätte gerade Zeit. Wenn ich also Lust hätte … . Da sage ich natürlich nicht nein und es kommt noch besser, denn den Eintritt kann ich auch hier mit der Museum Card begleichen. Dann schaue ich mich zunächst im Eingangsbereich des Rathauses um.
Gearbeitet wurde im gesamten Gebäude neben dem Backstein mit viel Holz. Interessant sind auch die Griffe der Türen, die alle handgearbeitet und mit Leder umwickelt sind.
Nach einer kurzen Einweisung folge ich meinem Guide durch einen Flur. Rechter Hand befinden sich Büros, linker Hand eine große Fensterfront zum Innenhof, die viel natürliches Licht in das Gebäude lässt. Mit Licht hat Aalto hier auch öfter gespielt, aber dazu später mehr.
Ich werde in einen kleinen Sitzungssaal gebracht, wo mir zuerst ein Film gezeigt wird. Einen Moment später erscheint das Paar, auf das der Herr gewartet hat. Ich erfahre, dass die zwei heute hier übernachten, denn einige der ehemaligen städtischen Wohnungen werden heute als Ferienapartments genutzt. Und zur Übernachtung gehört auch eine Besichtigung, an der ich nun netterweise auch teilnehmen darf.
Nachdem ich den Film angeschaut habe, darf ich auf eigene Faust losziehen und den Rest des öffentlichen Teils des Gebäudes erkunden. Dabei fällt mir dieses Modell auf, das schön zeigt, wie die Anlage aussieht. Sieht doch ein wenig wie eine Burganlage aus.
Das Highlight des Rathauses aber befindet sich eine Etage höher. Und während ich die Treppe hinaufgehe, werde ich auf eine weitere Besonderheit des Gebäudes aufmerksam gemacht. Aalto bewusst nicht nur makellose Ziegel für den Bau verwendet, sondern viele gebrauchte Steine zusammengesucht, damit die Wände ihren ganz eigenen Charakter haben.
Hinter einer großen Schiebetür befindet sich dann der wichtigste Raum des ganzen Gebäudes, der Ratssaal. Der monumentale Raum ist nicht nur der größte, sondern auch der höchste Raum des Gebäudes. Die Deckenhöhe beträgt bis zu siebzehn Metern, denn Alvar Aalto glaubte, dass ich höheren Räumen bessere Entscheidungen getroffen werden.
Der Raum besteht komplett aus Ziegel, Licht spendet ein großes Fenster mit innovativen Lamellen, die durch verschiedene Einstellungen jeden Winkel des Raumes ausleuchten könnten. Dasselbe gilt auch für die Lampen, die beim genauen Hinsehen, ihr Licht nicht nur nach unten werfen.
Ganz vorn neben dem Tisch der Vorsitzenden gibt es ein weiteres kleines Fenster, dass sein Licht direkt auf ein kleines Kunstwerk wirft. Geschaffen wurde es von einem Freund von Aalto, doch die weitere Geschichte ist recht traurig. Die damaligen Abgeordneten mochten die moderne Kunst nämlich überhaupt nicht und so wurde das Bild bald entfernt und verkauft. Erst Jahrzehnte später kehrte eine Kopie an den angestammten Platz zurück und seitdem ist das Design wieder vollständig.
Assistiert wurde Aalto beim Bau übrigens von Elsa Mäkiniemi und während des Baus kamen sich sie und der seit 1949 verwitwete Aalto näher. Im Jahr 1952 heirate das Paar.
Nachdem ich alles ausführlich angesehen habe, bedanke ich mich nochmals herzlich, dass ich an der Besichtigung teilnehmen konnte und schaue mich anschließend noch ein wenig im Innenhof um. Von hier kann ich denselben Gang mit den hohen Fenstern sehen, dem ich vorher gefolgt bin.
Von der Insel fahre ich hochzufrieden zurück in das Zentrum von Jyväskylä. Hier drehe ich noch eine kleine Runde, um ein paar weitere Gebäude anzuschauen, doch ein wenig ist inzwischen die Luft raus. Es waren heute viele verschiedene Eindrücke, die ich erst einmal verarbeiten muss. So stoppe am Vesilinna Turm, dessen Aussichtsplattform aber heute sowieso schon geschlossen hat.
Kurz halte ich auch noch am Kuokkalan kartano, doch rund um das Herrenhaus ist eine einzige Baustelle, sodass ich nicht mal ordentlich fotografieren kann und nach ein paar Minuten weiterfahre.
Der Weg führt mich zum Greenstar Hotel, das ich für die heutige Nacht gebucht habe. Übernachtungen waren in Jyväskylä recht teuer, sodass ich dieses recht einfache Hotel gebucht habe, das auch schon nicht gerade günstig ist. Nun ja, für eine Nacht ist es schon in Ordnung.
Ein wenig erinnert mich das hier an Ibis Budget. Man hat aber den Anspruch total ökologisch zu sein. Nun ja, ok. Das Zimmer ist zumindest winzig klein, keine Ahnung wie man hier zu zweit und geschweige denn zu dritt übernachtet. Und ja, es gibt ein drittes Bett, das unter dem Fernseher herausgeklappt werden kann. Auch sind die Betten extrem schmal und nicht ganz so bequem. Besonders die Kissen gehen gar nicht. Mein Review zeigt ein paar mehr Eindrücke des Hotels.
So spartanisch die Zimmer sind, so innovativ finde ich allerdings diese Einrichtung. Während in den meisten Budget-Hotels in Europa niemals ein Kühlschrank zu finden ist, so gibt es hier einen riesigen Kühlschrank auf dem Flur. Darin sind abschließbare Fächer, für jedes Zimmer eines. Das ist klasse.
Nun fehlt nur noch ein Ort zum Abendessen und da bin ich bei meiner Recherche auf Barot‚s gestoßen, die sehr gute Bewertungen bekommen haben. Zuerst fällt mir auf, dass sich das Restaurant an einer Tankstelle befindet, nein nicht an einer Tankstelle, sondern darin. Besser gesagt, die Tankstelle funktioniert heute automatisch mit Kartenzahlung und der ehemalige Shop wurde zum Barot‚s umgebaut. In Finnland stoße ich übrigens öfter mal auf solche innovativen Projekte, denn Tankstellen sind ganz oft automatisiert.
Bestellt wird hier am Tresen und man holt sein Essen auch an der Theke ab. Getränke gibts im Free Refill und auch sonst ein großes Angebot zu fairen Preisen. Das sieht schon mal gut aus, jetzt muss es nur noch schmecken.
Und das tut es auch, ausgezeichnet sogar. Die Bewertungen haben nicht zu viel versprochen. Das Barot‚s kann ich auf jeden Fall weiterempfehlen.
Als ich zum Hotel zurückfahre, sehe ich aus dem Augenwinkel noch ein weiteres interessantes Gebäude. So beschließe ich mein Auto zu parken und noch einen kleinen Abendspaziergang zu machen. Macht ja nichts, dass es schon nach 22 Uhr ist, die Sonne ist noch immer nicht untergegangen.
So gelange ich nach rund zehn Minuten Fußmarsch zum Schaumannin Linna. Das Schloss gehört zu den bedeutenden historischen Gebäuden Mittelfinnlands und wurde 1924 nach den Entwürfen von Gunnar Wahlroos erbaut. Es ist von mehreren Stilrichtungen wie Neorenaissance und Barock bis hin zum Klassizismus beeinflusst und verfügt unter anderem über einen Weinkeller, Geheimgänge und einen Tennisplatz unter dem Dach.
Leider kann ich nur von außen durch den Zaun schauen, denn 2009 wurde das Gebäude an einen Unternehmer verkauft, der es heute als seinen Wohnsitz und den Sitz seiner Firma nutzt.
Auch der tolle Schlosspark, der nach den Entwürfen Bengt Schalin entstand, ist nur durch Gitterstäbe zu sehen. Noch dazu ist zum Weg hin eine Böschung, sodass ich nicht mal ohne weiteres bis an den Zaun komme.
Das Grundstück liegt direkt am Stadtsee Jyväsjärvi und nebenan gibt es einen schönen öffentlich Weg, der auch mich bis ans Wasser bringt.
Hier drehe ich nun um und gehe zurück zum Hotel. Auch heute Nacht stehe ich aber kurz auf und schaue aus dem Fenster. Und inzwischen mache ich hier wirklich die Nacht zum Tage, denn die Zeiger der Uhr stehen auf 1 Uhr nachts, aber dunkel ist es draußen nicht wirklich. Nicht mal die Straßenlaternen sind angeschaltet. Das lohnt sich hier nicht im Sommer, im Winter dafür wohl umso mehr.
Kilometer: 230
Wetter: Gewitter und Regen, abends heiter, 28 Grad
Hotel: GreenStar Hotel, Jyväskylä